Die Zubettgehzeit variiert, es ist also nicht in Stein gemeißelt, wann Toni ins Bett gebracht wird. Meistens sagt er meiner Mama, wann er sich hinlegen möchte. Die Abendhygiene läuft folgendermaßen ab:
Im Bad wäscht er seine Hände, die Zähne werden gereinigt und er kann den Mund ausspülen. Das Schlafshirt wird ihm über den Kopf gezogen und die Arme steckt er selbst in die Ärmel. Mit dem Deckenlifter kommt er vom Rollstuhl ins Bett. Wahlweise, wenn er (und vor allem Mama) nicht zu müde ist, kann er vom Rollstuhl aus auch aufs Drehteller stehen und sich mit ihrer Hilfe auf dem Bett absetzen. Seitlich legt er sich dann hin und nimmt die Beine mit Unterstützung hoch aufs Bett. Inzwischen kann er bei der Lageveränderung im Bett aus eigenen Kräften gut mitmachen. Er hebt das Becken an, damit er ausgezogen werden kann. Seit neuestem kann er sogar das Becken anheben und weiter seitlich abgelegen! Das ist eine große Entlastung! Wenn er auf dem Rücken liegt, dann kann er sich größtenteils selbst auf eine Seite drehen, damit das Liftertuch oder Netz unter ihm hin- oder weggelegt werden kann. Zurück zur Mitte klappt auch. Das ist schon erstaunlich! Liegt er dann auf dem Rücken, streckt er sich oft genüsslich ganz lange aus. Meist möchte er noch eine Weile auf dem Rücken liegen bleiben. Die Temperatur und Sauerstoffsättigung wird gemessen. Wenn alles gut geht, ist die „Wasserleitung“ mit dem Urinbeutel noch eine Weile dran. Ansonsten platziert Mama die Urinflasche und schaut immer mal wieder ins Schlafzimmer rein. Sie fragt dann nach einer Weile leise, ob er auf die Seite liegen möchte und lagert ihn dann dementsprechend mit Kissen im Rücken und unter/zwischen den Knien und Füßen. Kann er lange nicht in den Schlaf finden, fragt Mama ihn, ob er seine „Schlaftröpfle“ nehmen möchte. Wenn ja, bekommt er diese und oft schläft er dann eine Weile ganz tief. Etwa 2x pro Nacht wacht Mama davon auf, dass sie ihn hört. Er räuspert sich, schluckt, hustet oder brummelt vor sich hin. Ich hoffe, er wacht davon auf, dass er merkt, wie er auf Toilette muss – das wäre für die Zukunft prima! Ist das dann erledigt, schläft er meist rasch wieder ein. Mama im besten Falle ebenfalls. Nachtrag: Seit ich das obige geschrieben habe, ist einige Zeit vergangen. In den letzten Wochen hat sich auch da eine Verbesserung gezeigt: Die Anzahl der nächtlichen Lagerungskissen ist deutlich zurückgegangen. Die Kissen an den Beinen hat er öfters weggestrampelt. Manchmal hat er sich auch aus eigener Kraft bereits komplett von der einen Seite zur anderen umgedreht. Das größte "Problem" (im Sinne von Kräfte zehrend, anstrengend und nervig) war und bleibt noch immer manchmal die nächtliche Flut. In manchen Nächten bleibt das Bett trocken. Meistens jedoch ist es etwas oder selten sogar komplett geflutet. Was auf sie zukommt, kann Mama meist schon riechen, bevor sie die Augen aufschlägt. Deshalb hat sie vor zwei Monaten den Tagesplan umgestellt und die Flüssigkeitsgabe so eingeteilt, dass er abends nicht mehr so viel Wasser bekommt. Ob dadurch oder sein wachsendes Bewusstsein auch für diese körperinternen Vorgänge - es scheint langsam besser zu werden. Ich hoffe sehr, das bewahrheitet sich und wird bald ganz gut! 2016
In Kürze feiern meine Eltern Hochzeitstag. Schon seltsam, jetzt den Unterschied zu sehen im Vergleich zu früher. Da waren die beiden partnerschaftlich verbunden. Das geht bei Gesprächen los und endet bei weitem nicht mit dem Umsetzen gemeinsam geplanter Ideen. Es war so leicht vor dem Unfall. Was immer gerade war, auf Toni konnte man sich verlassen. Er hat es unaufgeregt geregelt, gelöst, repariert, erledigt. Jetzt ist sie allein mit allem. Sogar schon ein Zehntel dieser langen Ehe-Zeit erlebt Mama nun schon ohne Toni als Partner auf Augenhöhe. Ich versuche schon, abzufangen, soviel mir möglich ist. Aber ihn zu ersetzen schafft einfach keiner. Wenn was mit dem Auto nicht stimmt oder ein Schrank sich gegen das Abbauen wehrt oder die ganzen super-tollen technischen Geräte nicht so funktionieren wie sie sollen – dann fehlt der Toni von früher. Auch mir fehlt Toni manchmal als Gesprächspartner. Dass ich ihm von etwas erzählen kann und seine Meinung dazu höre. Seine Unterstützung spüre oder wenigstens das Mittragen. Das kann er derzeit leider nicht. (Noch nicht? Hoffentlich!) Gespräche mit ihm laufen immer noch so, dass wir viel davon abnehmen. Wir erläutern die Situation, geben sämtliche Antwort-Möglichkeiten vor und er entscheidet sich dann für eine Antwort. Früher hat er darauf eben mit den Augen oder dem Kopf Ja / Nein oder ein Schulterzucken als Antwort gegeben. Selten geht ein „Gespräch“ von ihm aus. Neulich fragte er sie: „Gehst du heute noch einkaufen?“ oder er sagt: „Gesundheit!“ wenn sie niest oder „Gute Nacht!“ falls er noch wach ist, wenn sie sich schlafen legt. Aber das sind ganz seltene, besondere Momente – deswegen erinnern wir uns da so gut dran. Mir wollte lange nicht in den Kopf, dass er vieles einfach nicht mehr weiß, nachdem ein paar Stunden vergangen sind. An die Erlebnisse vom Vortag erinnert er sich nicht. Das waren in all der Zeit vielleicht 4 Begebenheiten, wo er es noch wusste und uns damit verblüffte. Meistens weiß er mittags nicht mal mehr, was er zum Frühstück gegessen hat – das frag ich ihn täglich. Und – wie schon einmal gesagt – manchmal erkennt er mich nicht. Da gibt er mir die Hand, spricht mich mit irgendeinem Namen an. Nach einer Weile döst er weg und schläft. Gestern wachte er dann aus dem Nickerchen auf und hat mich interessiert beobachtet und wusste wieder, wer ich bin. Toni ist quasi teilzeit-abwesend. So ganz erkenne ich das nicht immer. Mama schon. Vielleicht will ich das auch nicht wahrhaben, dass er in dem Moment, in dem ich ihm was Erzählen oder ihn zum Lachen bringen will, einfach nicht mit dem ganzen Hirn bewusst dabei ist. Mir kam gestern ein Gedanke: Ob das wohl daran lag, dass er 2013 nochmals eine Shunt-OP brauchte? Vielleicht war dabei der Hirndruck über längere Zeit unbemerkt erhöht und hat noch etwas mehr verletzt? Selbst wenn - jetzt ist es so. Wenigstens bedeutet das, dass er auch in Teilzeit „anwesend“ und ganz bewusst & wach sein kann. Das ist immer noch besser, als völlig in sich eingeschlossen oder gänzlich ohne Teile seiner „alten“ Persönlichkeit zu sein. <2015
Unter „Pflege“ verstehe ich sowohl die Pflegekräfte in den verschiedenen Einrichtungen, die Pflegekräfte, die zu Hause betreuen, als auch die Tätigkeiten bzw. das Aufgabengebiet selbst. Wovon ich neulich schlecht träumte, war die „Pflege zu Hause“. Der Traum selber war ziemlich konfus, ich weiß nicht mehr viel. Mir blieb einfach das Gefühl in Erinnerung: Wir saßen als Familie zusammen, hatten es gemütlich und harmonisch. Dann sagte Mama plötzlich: „Jetzt kommt gleich die Pflegekraft, ich muss noch aufräumen!“ Im Bauch hatte ich da ein ganz blödes Gefühl, das sich mehrere Tage nach dem Traum hielt. So ein Gefühl der Einschränkung, der Begrenzung des Familienlebens, Ende der gemütlichen Geborgenheit. Das ist die Quintessenz: ist man auf Unterstützung bei der Pflege zu Hause oder auf 24-h-Betreuung angewiesen, bedeutet es eine Veränderung im Familienleben, die ich mir nicht so drastisch vorgestellt hatte, wie wir es dann tatsächlich erlebt haben. JA, ich bin ein „Sensibelchen“ und vielleicht liegt es daran, wie wir auch früher das Familienleben gestaltet haben. Durchaus mag es betroffene Familien geben, bei denen die Tür für Freunde und Bekannte immer offen steht. Wo die Nachbarskinder oder befreundete Erwachsene schon seit Jahren regelmäßig und selbstverständlich unangekündigt häufig zu Besuch sind. So war es bei uns nicht. Nicht bewusst von uns so gewählt, sondern es war einfach so, dass wir zu Hause meist zusammen gemeinsam waren. In der neuen Umgebung, der neuen aber deutlich kleineren Wohnung, rückte dann alles so eng zusammen. Überall die vielen Hilfsmittel und Trainingsgeräte, kaum Rückzugsmöglichkeiten und dadurch eine erzwungene Öffnung jedes persönlichen Gesprächs… mir war das zu viel. Ich kam damit gar nicht gut zurecht, dass ich zu Hause nicht einfach drauflosreden konnte (ohne mit einem Kommentar durch einen Fremden rechnen zu müssen). Oft habe ich mich dann auch nach den Zeiten der Pflegekräfte gerichtet und bin eben bewusst später gekommen. JA, ich bin was das angeht eben empfindlich. Vielleicht wäre es anders, wenn es mehr Räume gäbe. Oder wenn Toni nicht solche Fortschritte gemacht hätte, dass wir ihn immer mehr und länger in unseren Alltag miteinbeziehen wollten und konnten. Dann wäre die Pflegekraft eben im „Patientenzimmer“ gewesen und wir woanders. So aber waren wir ja ständig unter Beobachtung (und andersrum auch). Nicht immer passt die Chemie perfekt und sich auf die verschiedenen Personen einzustellen, jeweils den richtigen Ton zu finden, das ist nicht einfach. Weder für die Pflegekräfte, noch für die Angehörigen von Patienten, die nicht selbst für sich sprechen können. Es war auch Toni anzumerken, dass dieser häufige Wechsel ihm zu schaffen machte. Er zog sich in sich zurück, machte oft kaum die Augen auf und „saß“ das aus. Es dauerte dann immer lange, ihn wieder zurück an die Oberfläche zu holen. Oft war er sogar anderthalb Tage lang komisch, nachdem es an einem Tag eine 4-Stunden-Einheit gab, bei der wir ihn allein mit einer Pflegekraft zu Hause ließen. Beobachtet man das mehrfach, kann man die "Freizeit/Auszeit" nicht wirklich genießen. Soviel mal heute als erster Einstieg. Mehr dazu folgt hoffentlich demnächst… <2016>
Schwierige Zeiten, Stimmungstiefs und verschiedene Welten! Schon längst hatte ich vor, endlich etwas mehr über die Pflege zu schreiben. Aber außer unangenehme Träume davon zu träumen, bringe ich bisher mehr dazu leider nicht zustande. Stattdessen möchte ich heute mal loswerden, was gerade so seltsam bedrückend und teils auch erschreckend ist. Zuerst: Wir als pflegende Angehörige sind froh über alle Fortschritte, die Toni bisher gemacht hat und haben keinen Grund zur Klage. Eigentlich. Allerdings merken wir immer wieder ganz deutlich, dass wir nicht (mehr) belastbar sind. Das ist für mich erschreckend. Den Alltag mit aktivierender Pflege und Co-Therapeuten-Aufgaben bewältigen wir ganz gut. Jede Abweichung aber kostet Energie und Kraft. Dazu gehört, so seltsam sich das anhören mag und so krass sich das anfühlt, fast jeder Kontakt nach außen. Sei das nun ein von Herzen gut gemeinter Wunsch nach einem schönen Geburtstagsfest, der einen Zustand voraussetzt, voraus-hofft oder voraus-wünscht, der mit unserer Realität leider nichts gemein hat und aufgrund der Gegebenheiten fast sarkastisch anmutet. Natürlich macht Toni Fortschritte und es verändert sich vieles. Aber das ist eben genau der Punkt: Es wird anders. Nicht leichter oder gar besser. Nur anders. Vielleicht sind wir auch nur zu ungeduldig. Ich bin's ganz bestimmt! Ich hatte mir gewünscht, dass mit den Fortschritten auch Erleichterungen einhergehen. Das ist zwar so, aber in so geringem Ausmaß, dass es bei Alltags-Abweichungen eben nicht ins Gewicht fällt. Eine weitere Abweichung: ein Urlaubs-Video-Bericht, der deutlich macht, was alles unwiederbringlich verloren und uns unmöglich ist. Das stimmt mich ungewollt nachhaltig traurig. Außerdem zieht es in unserem ruhigen Ablauf der Tage weite Kreise. Seitdem träumt Toni nachts zum Beispiel viel mehr und heftiger als zuvor. Dabei atmet er schwer und unregelmäßig (was Mama natürlich wach hält). Tagsüber ist er sehr grüblerisch und nachdenklich. Alles "von außen" ist natürlich gut gemeint … das ist mir schon bewusst. Es fällt mir nicht leicht, das heute zu schreiben. Klar, jeder hat sein Päckchen zu tragen und nicht jeder kann sich so ganz auf unsere Realität einfühlen, weil es natürlich auch für alle anderen schmerzlich ist, die Vergangenheit mit Toni ruhen zu lassen. Uns und ihn in dieser veränderten Situation anzunehmen. Es liegt an uns, die richtigen Parameter darauf anzuwenden oder eben Prioritäten zu setzen, damit wir möglichst schnell wieder zurück zu einer stabilen Ausgeglichenheit finden. Genau das gelingt uns manchmal eben nicht so gut, wenn alles so gehäuft kommt. Es ist alles lieb gemeint, dennoch zeigt es uns schmerzlich krass, wie weit weg wir von einem „normalen Leben“ sind. Dass es ein Zurück nicht geben kann. Das ist so ein seltsames Gefühl von absoluter Isolation. Gemischt mit einem schlechten Gewissen, weil ich nicht undankbar sein möchte, für die vielen kleinen Wunder, die wir erleben. Und für die vielen guten Gedanken und guten Wünsche, die uns erreichen. Für alle, die Anteil nehmen und hoffen, es wäre bereits leichter, einfacher oder besser. Aber es ist, wie es ist und manchmal ist es schwer. Für uns genauso wie für alle anderen, die Toni vermissen. Vor allem, wenn wir alle drei irgendwie den „Blues“ haben. Darf man das nicht auch offen zugeben? Vielleicht ist es auch einfach der Winter (der erst nicht kommen wollte und nun nicht daran denkt, seinen Sommerschlaf zu beginnen), der uns die Stimmung trübt. So hoffe ich abschließend inniglichst auf baldige Besserung - sowohl des Wetters als auch der Gemütslage(n)! :-) 2013-2014<<
Wie geht das denn nun eigentlich genau mit dem Absaugen bei einer Trachealkanüle?!? Also: Wer nicht husten kann, der hat verirrten Speichel oder Sekret in den Atemwegen oder der Lunge und kriegt das dort nicht mehr weg. Es sollte da aber weg, damit das Atmen nicht anstrengt und bevor es schlimmstenfalls zu einer Lungenentzündung kommt. Wir hören am Atemgeräusch und merken auch an der Sauerstoffsättigung, wie es mit der „Atemwegs-Freiheit“ bei Toni steht. Ein Absauggerät funktioniert so ähnlich wie ein Staubsauger. Vorne auf den Schlauch wird jedes Mal ein neuer steriler Katheter gesteckt. Es gibt unterschiedliche Absaugkatheter. Wir hatten zum Schluss eine ganz dünne Variante mit speziellem Ende. Der Schlauch saugt das „Material“ in einen Auffangbehälter. Nach einem Absaug-Vorgang wird kurz Wasser nachgesaugt, um den Schlauch zu spülen. Der sterile Katheter wird in den Atemweg eingeführt und das störende Flüssige rausgesaugt. Die Katheter sind ca. 45 cm lang. Damit man dabei nicht zu tief oder bis in die Lunge kommt, muss man unbedingt wissen, wie lange die Kanüle ist. Erst als wir einmal mit der Logopädin zusammen eine Kanüle angeschaut haben und damit den Vorgang beim Entblocken durchgesprochen haben, wurde mir das alles so richtig klar. Alles mal „trocken“ zu sehen, also auf dem Tisch und in den Händen statt zum Großteil in Tonis Hals steckend, machte es für mich viel besser begreiflich. Überwiegend logische Sachlichkeit und weniger Emotion, das war hilfreich. Der Absaugvorgang kann unterschiedlich lang dauern. Es gibt ein Ventil, das es ermöglicht, den Katheter ohne Saug-Leistung einzuführen, damit in dieser Zeit keine Atemluft weggesaugt wird, die der Patient einatmet. Ist die richtige Stelle kurz unter dem Kanülen-Ende erreicht, kann mit dem Daumen das Ventil geschlossen werden und das Absaugen beginnt. Zwirbelt man dabei den Katheter leicht und zieht ihn gleichmäßig langsam heraus, erwischt man alles was drinhängt. Wer absaugt muss ganz einfach wissen, wie lang so eine Kanüle eigentlich ist und welchen Katheter man gerade benutzt. Wie tief kann man den Katheter einführen? Saugt sich das Katheter-Ende am Gewebe fest und verletzt es dabei möglicherweise die Luftröhre? Es gibt Katheter, die speziell entwickelt wurden, um Verletzungen zu vermeiden. Man kann nicht einfach mit jedem x-beliebigen Katheter bis zum Anschlag in der Lunge herumstochern. Manchmal reizt das Absaugen auch zum Husten. Toni kann dann kräftig und in hohem Bogen abhusten. Ja, es ist nicht sehr appetitlich. Trotzdem machen wir Witze darüber, wenn er dabei uns, den Schrank oder einen Vorhang erwischt. Immer noch besser als „Iieh!“ zu quicken, wegzurennen und damit seine Gefühle zu verletzen, oder? Unsere Erfahrung führt mich zu folgender Erkenntnis: Insbesondere bei Schädel-Hirn-Patienten sind Routine und bekannte Ablaufe extrem wichtig. Die Handgriffe bei der Pflege im Allgemeinen und beim Absaugen im Speziellen, nachvollziehbar immer auf dieselbe Weise durchzuführen, sorgt für Entspannung beim Patienten und ermöglicht auch eine Förderung. Weil ihm klar ist, was nacheinander folgt, bleibt er entspannt, kann er sich vorbereiten – und in Tonis Fall auch mit der Zeit selber mithelfen. Zugegeben, das ist nicht neu - aber wenn man sieht, welche Fortschritte Toni damit gemacht hat, wünsche ich mir, dass bei allen anderen Patienten dies ebenfalls beherzigt wird. Das ist jetzt die Absaug-Beschreibung bei meinem Vater. Es gibt natürlich Tracheotomierte, die sich selbst absaugen (können). Nur habe ich die dabei nicht persönlich beobachtet. Ich gehe davon aus, dass es ganz ähnlich funktioniert. Sonst korrigiert mich bitte, wenn ich falsch liege! :-) <2016>
Den Zustand seiner Aufmerksamkeit (oder vielmehr zeitweiligen geistigen Abwesenheit) nachdem Toni aus dem Wachkoma "wiedererwacht" ist, mache ich heute mal zum Thema: Ich könnte nicht sagen, dass er im Durchschnitt täglich soundsoviele Stunden abwesend ist. An manchen Tagen hat er Schlaf- und Wach-Phasen und ist stets ansprechbar. Es gibt aber auch Tage, da ist er überwiegend in sich gekehrt und einfach nicht ganz "da". Es schwankt ziemlich und noch ist mir nicht klar, ob es daran liegt, wie gut und erholt er sich nach der vorangegangenen Nacht fühlt oder ob es am Wettereinfluss liegt. Ich weiß auch gar nicht, ob ich es schaffe, diesen Zustand verständlich zu machen… In diesem Zustand sind seine Augenlider auf Halbmast, die Augen bewegen sich dauernd hin und her und was auch immer sie sehen mögen - es findet nicht in der Realität statt, die wir miteinander teilen. Taucht er daraus wieder auf, hat er uns seit neuestem oft dringlich etwas mitzuteilen. Das ist meist aber so schnell und undeutlich artikuliert, dass wir geduldig mehrfach nachfragen müssen, bis wir uns langsam zusammenreimen können, was eigentlich bei ihm los ist. „Kannst du mir bitte den Kellerschlüssel bringen?“ - „Was brauchst du aus dem Keller?“ - „Die Leiter.“ - „Warum musst du auf die Leiter?“ - „Draußen bei der Alarmanlage.“ - „Was musst du dort machen?“ - „Den Mikrochip ausbauen und hier drinnen einbauen.“ Oder: „Ich brauche drei von den kleinen schwarzen Magnetkontakten.“ Oder: „Der Schalter von der Glasbruchmeldeanlage muss ausgetauscht werden.“ Oder: „Bringst du mir meinen Führerschein?“ – „Wozu brauchst du den?“ – „Auto fahren.“ – „Wer fährt (also wer sitzt am Steuer)?“ - „Ich!“ Oder der Klassiker seit ein paar Monaten: „Was hast du heute gemacht?“ – Toni: „Ich war im Hallenbad!“ Kommt es zu solchen Kollisionen verschiedener Realitäten, versucht Mama, ihn langsam wieder an unsere Wirklichkeit heranzuführen. Sie stellt ihm Fragen über den Stand seiner körperlichen Fähigkeiten, ob er denn gerade wirklich eine Leiter hochsteigen könnte. Warum das so ist, was bei dem Schädelhirntrauma passiert ist. Und sie sagt ihm, dass er in Gedanken gern weiter an der Alarmanlage herumbasteln kann, aber eben in Gedanken. Nicht wirklich wirklich. Deshalb holt sie jetzt weder eine Leiter noch schiebt sie den Rollstuhl nach draußen zur nichtexistierenden Alarmanlage. Im ersten Moment ist es witzig, was er da so aus dem Nichts heraus erzählt. Es fehlt ihm auch noch die Übung, so dass Worte wie „Brandmeldezentrale“ lustig klingen. Nicht selten muss ich mich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Vor allem, weil wir uns noch immer nicht an die positive Tatsache gewöhnt haben, dass er von sich aus einfach zu Sprechen beginnt. Nicht immer haben wir die nötige Geduld und Kraft, ihm den Unfall und die Veränderungen im „Leben jetzt“ im Vergleich zum „Davor“ zu erklären. Manchmal hilft es auch, ihn dann einfach mit etwas anderem zu beschäftigen. Nicht immer, aber recht oft lässt er sich ganz gut ablenken. Es sind für ihn ja keine Tagträume oder Gedankenreisen. Es ist kein Luftschlossbau und auch kein Wunschdenken. Aus irgendeinem Grund rutscht manchmal seine Aufmerksamkeit auf eine andere Spur und folgt Erinnerungen, Erlebnissen oder sonst etwas aus dem Fundus seines Gehirns. Für ihn ist das dann real, so wirklich wie die Brille auf seiner Nase. <<2013
Es begab sich einmal zu der Zeit als Toni noch nicht lange bei uns im neuen Zuhause war, da erwarteten wir eines Nachmittages Besuch: Alles ist vorbereitet, Toni erhält eine entspannende Stirn-Streichel-Massage und wir versuchen ruhig zu bleiben. Für mich ist alles, was rund herum immer zu tun ist, noch neu und mich macht der bevorstehende Besuch nervös. Also, abwartende Stille im Wohnzimmer. Doch plötzlich … … ein quitschendes Geräusch … „Was war jetzt das?“ „Weiß nicht!“ Lauschen - Stille „Hm, vielleicht hat ein Rad vom Rollstuhl gequitscht?“ „Stimmt, das könnte sein!“ Wir machen also weiter, lauschen nicht mehr auf merkwürdige, unerklärbare akustische Phänomene. Einige Minuten später dann verschieben wir den Rollstuhl. Mama: „Hoi, wieso ist da jetzt nass?“ Auf dem Boden finden wir eine kleine Pfütze. Schnell stellen wir fest, dass der Verschluss des Urin-Bein-Beutels nicht ganz zu war und sich wohl bei ansteigendem Druck geöffnet hat. Und zwar mit einem leisen, quitschenden Geräusch. Der Besuch ist noch nicht da, also nur ein kleines, leicht zu bereinigendes Malheur! Nur witzig, dass wir das Rad als Geräuscheverursacher bezichtigt hatten. Seit diesem Tag ist das unter uns dreien der Geheim-Code für jede große oder kleine Urin-Katastrophe: „Es ist heut Nacht wieder mal ein Rad passiert!“ <<2012/2013
Ob der Umgang mit mir in der Zeit direkt nach dem Unfall leicht war? Vermutlich nicht. Ich weiß noch, dass ich wahrscheinlich anders reagierte, als erwartet wurde. Wobei ich noch nirgendwo einen Verhaltens-Leitfaden für Trauma-Angehörige gesehen habe. So meide ich im Jahr 2013 viele Situationen, weil ich mich dem einfach nicht gewachsen fühle. Bei der Arbeit geht das natürlich nicht. Je nach Grad der Sensibilität, fragen mich da manche Personen auch hin und wieder wie es mir geht. Statt einfach zu sagen, „es geht!“ oder „Gut!“ oder sonst eine schnell abfertigende Antwort zu geben, sage ich, wie es ist. Nicht selten dabei kurz mit den Tränen kämpfend. Im Grunde völlig unsensibel, aber ich kann da einfach nicht anders. Meist höre ich mir dabei selbst zu, sag mir innerlich „Hör doch auf!“ und rede trotzdem immer weiter! Vielleicht muss das einfach raus? Vielleicht möchte ich klarstellen, dass mein „Urlaub“ nicht so sein wird oder gewesen ist, wie das angenommen wird? Einige Menschen habe ich damit bestimmt ziemlich überrumpelt und geschockt. Es war ihnen anzusehen, dass sie damit jetzt nicht gerechnet hatten. Im Grunde vermutlich auch nicht mal darauf eingestellt waren, wirklich zuzuhören. Manche Gespräche treiben ja einfach so dahin, die üblichen Erwiderungen sind SmalltalkProfis in Fleisch und Blut übergegangen. Da war ich noch nie richtig gut drin. Tja, nur eine unbedachte Frage und ich rede mindestens 4 Minuten lang von Unfall, Wachkoma, schwer-pflegebedürftig, Unterstützung der Eltern, etc… Die wenigsten wissen dazu etwas zu sagen. Und gerade Ende 2012 bis etwa März 2013 haben Worte auch gar nicht geholfen! Am besten zu ertragen waren eigentlich noch „Viel Kraft!“-Wünsche. Hätte ich mir wohl besser ein Schild um den Hals gehängt mit einer Warnung drauf: WRACK BEI DER ARBEIT – FRAGEN PERSÖNLICHER NATUR AUF EIGENE GEFAHR Manche, die ich damals mit meiner Verzweiflung so geschockt hatte, dass sie jeglichen näheren Kontakt vermieden haben, konnte ich inzwischen über die Fortschritte und die positiven Entwicklungen ins Bild setzen. In 2015 selbst auf der anderen Seite eines „Schicksals-Berichts“ zu stehen und mein Beileid ausdrücken zu versuchen, hat mir gezeigt, wie hilflos und sprachlos man dabei ist. Im Geist höre ich mich dann mit unpassenden Gedanken jonglieren. Wie z.B. „Wird schon wieder!“ oder „Wenigstens kein langes Leiden!“. Verzweiflung kann man nicht schönreden. Aus meiner eigenen Erfahrung habe ich nur gelernt, dass es besser sein mag, manchmal einfach nur zuzuhören. Verstehen zu wollen und zu hören. So schwer das auch ist. Nicht viel sagen, nur zum Abschied „Viel Kraft!“ <<2014
So ein Schlucktraining ist ziemlich komplex. Irgendwann 2014 erzählte mir Mama, dass Toni von seiner Logopädin Gesichtsgymnastik aufgetragen wurde. Vermutlich zum Muskeln reaktivieren, aufwecken, gezielt benutzen. Wie und warum auch immer: es ist eine ideale Gelegenheit für mich, mit Toni Blödsinn zu machen! Ich bringe mich auf Höhe seines Gesichtes, ziehe die Augenbrauen hoch und er macht es nach. Dann wird die Nase gerümpft oder gekräuselt – erst ich, dann er. Breites Grinsen, Augenbrauen zusammenschieben und dadurch ganz finster und böse wirken, Zunge rausstrecken… Immer mal wieder machen wir das. Manchmal schaut er einfach rüber, nimmt genau wahr, was wir in dem Moment tun. Fange ich da seinen Blick auf, ist er „voll da“. Ich zieh eine Grimasse und er grinst. Manchmal ist das während Mama und ich essen. Und ja, manchmal habe ich dann so „pantomiert“ als wäre das Essen überhaupt nicht lecker – natürlich nur, wenn Mama gerade nicht im Raum war! Vielleicht auch nur bei den Speisen, die er immer so gern mochte. Es ist schon gemein, da zu sitzen und Pfannkuchen zu essen (oder sonstigen Kuchen) und dabei von ihm beobachtet zu werden, der in dem Moment keinen Kuchen essen darf/kann! Immer wenn ich vorgebe, es wäre nicht lecker und mir wäre übel vom Essen, lachte er. Anfangs nur so ein ganz leises Schnauben und ein breites Grinsen. Nicht selten floss dabei der viele Speichel über. Eine gute Gelegenheit zur Übung für ihn, sich den Mund mit einem Tuch abzuwischen. Wenn er nicht damit rechnet, lacht er auch über eine plötzlich rausgestreckte Zunge. Nach ein bisschen gutem Zureden, streckt er dann die Zunge auch so langsam raus. Wann immer möglich nutze ich seine Wachheit für Unfug und nicht lange, da macht er das auf Zuruf: „Naserümpf“ „böse Augenbraue“ „Grins“ „Augenbraue hoch“ Für mich ist das total cool, ich lache jedes Mal und freue mich riesig darüber, dass er entweder meinen Gesichtsausdruck sehen und imitieren kann oder genau verstanden hat, was ich sage und er das so schnell umsetzen kann. Da er 2014 nicht deutlich sprechen kann, ist diese Reaktionsfähigkeit ein ziemlich gutes Beispiel dafür, dass er trotz Schädel-Hirn-Trauma NICHT extrem matschbirnig ist. Oft bespreche ich dann mit ihm, den "Trick" später auch Mama vorzuführen, wenn sie dann wieder zurück in den Raum kommt. Manchmal klappt das, manchmal nicht. Es kommt auf die Dauer des Einübens/Erarbeitens und der anschließenden Wartezeit an. Je nachdem wie anstrengend das war, schläft er beim Warten ein. Dabei ist ein Nickerchen nach einer Aktiv-Phase durchaus wichtig. So wird das Gelernte im Gehirn gespeichert. Ich kann mich noch genau erinnern, wie im Herbst zum ersten Mal ziemlich viele Familien-mitglieder bei uns zu Besuch waren – zum Teil auch Toni seit dem Unfall das erste Mal wiedersahen. Da war das ganze Wohnzimmer voll und er grinste breit. Da rief ich ihm das Kommando „böse Augenbraue“ zu und er demonstrierte vor versammelter Mannschaft seine Macht über die eigenen Augenbrauen. :-) Abschließend möchte ich dazu noch sagen, dass ich da lange „naserümpf“ rufen kann und nichts passiert, wenn er keine Lust dazu hat. Es klingt nur ein wenig nach „abrichten“ – ist vielmehr ein gemeinsames Training. Solange er sich ab und zu auf dieses Niveau einlassen kann, über blöde Grimassen oder Witze schmunzelt und selbst Grimassen zieht, ist mit dem Shunt (Hirndruck) alles in Ordnung! Gerade an eher müden Tagen käme bei andauernder Dumpfheit sonst bei uns Sorge auf. Da fragt jemand nach, wie es Toni inzwischen geht. Ich spreche von Fortschritten, die enorm sind und uns freuen und überraschen. Die nächste Frage kann dann sein: „Ja, wann geht er dann wieder arbeiten?“
Bei Toni ist das anders. Aber wie genau? Heute also ein Versuch, das mal umfassend darzustellen: Physisch: Toni sitzt im Rollstuhl, weil seine Muskulatur nach der langen Wach-Koma-Phase erst langsam wieder aufgebaut werden muss. Er hat aber keine dauerhafte Lähmung. Eine lange Zeit war in seiner linken Körperhälfte ein starker Tonus, eine Krampfhaltung des Arms und auch des Beines. Die kann er inzwischen mäßig gut selbst auflockern. Doch wenn es ihm schlecht geht, er gähnt oder hustet kehrt der Tonus verstärkt in den linken Arm zurück. Noch immer ist die linke Körperseite seine stärker-betroffene Seite. Bei Hand und Arm ist das sehr deutlich. Die Rumpfhaltung ist asymmetrisch linkes etwas eingeknickt. Auch bei den Beinen spürt man, dass er links noch schwächer ist als auf der anderen Seite. Er trainiert den linken Arm in der Ergotherapie, die Rumpfmuskulatur in der Physiotherapie. Vor etwa einem Jahr wollte er plötzlich aufstehen. Seitdem trainieren wir das Stehen und Gehen auch von Zeit zu Zeit. Wiedererwacht: In Toni Fall würde ich nicht sagen, dass er „wieder aufgewacht“ ist. Dabei stellt man sich vor, wie wir morgens dem Wecker eins draufhauen, so langsam wieder alle Bewusstseins-Persönlichkeits-Stücke zusammensetzen, uns räkeln und anfangen, den Tag im Geiste durchzugehen. So ist er nicht aufgewacht. Die Wachkoma-Phase von Toni ging nach einigen Monaten in das von Ärzten diagnostizierte Apallische Syndrom über. Ich persönlich hatte oft auch den Eindruck, dass er möglicherweise sogar an dem „Locked in“-Syndrom leidet. Das mag zwar meine Einbildung sein, doch ich war früh überzeugt, dass er uns hört, versteht und erkennt. Nur war es ihm nicht möglich, sich mitzuteilen. Selbstverständlich nicht gleich durch Worte, aber auch nicht durch Gesten, kleine Augenbewegungen oder Ähnliches. Es dauerte lange, bis er das konnte. Nach dem „Nicken-mit-den-Augen“ kam langsam Leben in die rechte Hand. Er kehrte in seinen Körper zurück, Stück für Stück (und damit meine ich Millimeter für Millimeter) und über einen langen Zeitraum hinweg! Der Beginn war die rechte Hand. Inzwischen bewegt er sich mehr. Auch nachts im Bett, daher muss er nachts nicht mehr zwingend alle zwei bis drei Stunden gelagert werden. Während des langsamen Aufwachens sagte man uns in Allensbach, dass es besser sei, ihn nicht durch Besuchermassen zu überfordern. Es reagierte auf Mama und mich, wohl auf die bekannten Stimmen. Auch heute noch ist es ihm manchmal offenbar am liebsten, er hört unseren Gesprächen zu ohne daran teilnehmen zu müssen. Dabei ist er oft tiefenentspannt und schläft häufig ein. Die Zeiträume in denen er ganz da ist, aufmerksam im Hier und Jetzt, teilnimmt am Geschehen und vielleicht auch mal über Situationskomik lacht, wurden im Laufe der Jahre länger. Von wenigen Minuten am Tag auf mehrere Phasen verteilt bis zu heute mehrere Stunden am Stück. Je nach Tagesform variiert das natürlich. Sein Kurzzeitgedächtnis ist definitiv beeinträchtigt. Er erinnert sich selten daran, was gestern oder vor ein paar Stunden war. An seine Vergangenheit kann er sich hingegen sehr gut erinnern. Er erkennt auch Freunde und Verwandtschaft ohne Probleme. Gespräche mit Toni zu führen ist in der Regel ein Frage-Antwort-Spiel und geht häufig von uns aus. Wenn er sich mal zu Wort meldet, was natürlich auch vorkommt, dann möchte er entweder etwas verändern (Radio ausschalten, anderen Fernsehsender einstellen, ins Bett oder spazieren gehen) – konkrete Dinge eben. Oder er fängt an zu reden aus einer seiner „Innen-Reisen“ heraus. Beispielsweise fordert er Mama auf, den Monitor abzuklemmen oder die kleinen, schwarzen Magnetkontakte holen. Folglich ist er gerade auf irgendeiner Baustelle und ziemlich beschäftigt. Ein anderes Beispiel: Wenn er eine Zeit ferngesehen hat, kommt es häufig vor, dass er sich umdreht um uns dann zu verkünden: „Ich fahr jetzt nach Hause!" - "Wo ist das?" - "In Herbertingen!“ Das mit dem Schädel-Hirn-Trauma und seinen Fähigkeiten oder Einschränkungen ist wirklich nicht leicht zu erklären. Er ist – wenn er richtig da ist – immer noch schneller im Kopfrechnen als ich. Rommée spielen wir gern und er kann es so gut wie früher. Nur hält er die Karten nicht in der Hand, sondern steckt sie vor sich in einen Kartenbogen und das dauert eben etwas länger. Aber zu spielen ist dennoch möglich, so wie früher. Aber einem Gespräch über längere Zeit zu folgen, strengt ihn sehr an. Da nimmt er sich dann einfach raus, driftet irgendwie weg, ist in sich und schließt die Augen. Ihn von da zurückholen ist inzwischen immer möglich und er weiß dann auch meist, worum es geht oder kann Antwort geben, wenn er gefragt wird. Also hingegen meiner Befürchtung nach der Internetrecherche über Schädel-Hirn-Trauma-Patienten ist er vom Wesen und seiner Persönlichkeit unverändert. Das hätte auch ganz anders sein können: Dass er keinen mehr kennt, sich nicht an seine Vergangenheit erinnert, schnell wütend und aufbrausend ist, nichts mehr von seinem Charakter erkennbar ist. Mit all dem mussten wir rechnen. Deshalb sind wir so dankbar! Er ist trotz aller Veränderungen unverändert – wenn ihr versteht, was ich sagen möchte. Er hat große Fortschritte gemacht, mit denen niemand gerechnet hat und die im Grunde unmöglich oder zumindest unwahrscheinlich scheinen. Für uns ist das schon unglaublich viel! Jeder Arzt ist verwundert. Tonis Entwicklung ist Wunder-voll und seinem Ehrgeiz zu verdanken. Mir kamen die Tränen, als ich zum ersten Mal nach Jahren seine Stimme wieder hören konnte. Jedes Mal, wenn er meinen Namen sagt, bin ich gerührt und freue mich. Vor ein paar Monaten las Mama irgendetwas und hat nicht gesehen, dass er sich zu ihr wandte und den rechten Zeigefinger hob, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich saß dabei und wartete einfach ab. Er schluckte, holte Luft und sagte „Elfriede?“ – und Mama war völlig aus dem Häuschen. Wie elektrisiert und total begeistert sprang sie auf – das war richtig schön. Vor allem, weil er lächelte und sich über die Reaktion freute, die er durchs Sprechen ausgelöst hat. Ja, er macht Fortschritte. Nach der langen Zeit, in der auf jeden Fortschritt ein oder zwei Rückschläge folgten, sind wir froh, wenn alles so bleibt wie es jetzt ist. Er ist Toni. Aber eben die Version nach dem Unfall. Er kann und wird nie mehr so sein, wie davor. Das erwarten wir auch nicht. Bei seinen Zielen unterstützen wir ihn, trainieren das Gehen und Stehen, üben das Sprechen und Essen. Wir genießen die Zeit mit ihm. Er weiß, was passiert ist – zwar erinnert er sich nicht daran, aber er weiß, woher er die Narben auf dem Kopf hat und warum. Mama fragte ihn vor zwei Tagen, ob das Leben jetzt ganz schlimm für ihn ist und er antwortete mit einem Kopfschütteln. Wir sind wirklich zufrieden mit der aktuellen Ausgabe von ihm! P.S.: Frohe Weihnachten! <2015>
Nach dem Essen, Sprechen nicht vergessen! In der Logopädie-Stunde isst Toni häufig sein "Frühstück". Danach ist es besonders wichtig, die Stimmlippen wieder frei zu kriegen! Da soll nichts drüberhängen und später beim Einatmen die Luftröhre runterrutschen! Nur durchs Räuspern, Schlucken oder Husten klappt das bei Toni nämlich nicht. Vor allem, da er mit dem "Husten-auf-Kommando" noch ziemliche Probleme hat. Dazu bräuchte er noch viel kräftigere Muskeln - wir trainieren noch. Effektiver ist es momentan, ihn zum Sprechen zu animieren. Nun war Toni auch früher (also vor dem Unfall) eher sparsam in der Kommunikation. In der Therapie mit der Logopädin wurde daher gleich zu Beginn tief Verinnerlichtes von ihm erfragt: Er soll
Macht er alles, von "Wiedehopf" bis Uganda ist alles drin! Er sorgt da schon für Abwechslung und Überraschungen! Ersatunlich - vor allem, weil durch das Schädel-Hirn-Trauma und die lange Wachkoma-Phase noch vor ca. anderthalb Jahren nicht klar war, ob und was er überhaupt verstehen kann! Sprachaphasie und Sprachapraxie standen da im Raum. Dazu aber ein andermal mehr! Heute geht es ja ums Reden! Natürlich dauert das Sprechen bei Toni seine Zeit. Zwischendurch muss er immer mal wieder schlucken (und das geht ja bei Toni nicht automatisch - er muss sich bei jedem Schluck konzentrieren) oder Gähnen und danach schlucken. Es dauert eben alles - Entschleunigung pur! Heute nach dem Essen schaut er also auf seinen selbst-gesticktes Kalender-Wandbild, während er die Monate aufzählt. So wie ich das aus ihrer Erzählung rausgehört habe, ist noch immer was im Hals! Also bittet die Logopädin (oder Mama) ihn, das Alphabet aufzusagen. Und Toni: "A - B - C -[...] - Fau - Weeh - Iggs - Übbsilon - November!" Ich habe Tränen gelacht!! :-) 2012/2013<<
Seltsam, wie sehr das zurückkatapultiert! Ich persönlich empfand mich immer als die „abschirmende zweite Reihe“. Eine Verbindung zur Verwandtschafts- und Freundeskreis-Welt. Ich übernahm dann die Kommunikation, wenn Mama dazu nicht mehr in der Lage war. Oberstes Ziel war stets, Mama dort an vorderster Front dabei zu unterstützen, für Tonis Wohl zu kämpfen. Es ist uns beiden nie in den Sinn gekommen, z.B. Wellness zu machen. Nicht, solange es ihm nicht gut geht. Viele sagen meiner Mutter, sie müsse auch an sich selbst denken. Sich nicht vernachlässigen. Das ist ja auch alles richtig. Nur: Die allererste Grundvoraussetzung für ihr Wohlbefinden war nun einmal, dass es ihm gut geht. Das dauerte aber eine ganze Weile! Durch die verschiedenen Stationen nach der Deckelung hindurch kam langersehnt im Oktober 2013 der Tag, an dem er in das neue Zuhause einzog. Als er mit den Jahren so langsam Fortschritte machte, lief das mit der Pflege zu Hause nach einigen notwendigen Anpassungen dann so, dass es für die beiden eine Entlastung und keine zusätzliche Belastung war. Und da, langsam, weitete sich der Fokus und auch Mamas Wohl geriet mehr und mehr wieder ins Lot. Erst zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht mehr das Gefühl, mit aller Kraft alles zusammenhalten zu müssen. So langsam zur Ruhe kommen, versuchen zu entspannen. Zeitlich ist das etwas mehr als 2 Jahre nach dem Unfall. Alles bei ihm ist soweit stabil, kein Grund zur Sorge, nur Positives zu berichten - und dennoch fühle ich mich erschöpft, leer und oft traurig. Sich ständig zu sorgen ist wirklich extrem anstrengend. Und noch dazu ändert es nichts. Tja, aber wie sich Sorgen abschalten lassen, habe ich noch nicht herausgefunden. Jetzt/heute – insgesamt knapp über 3 Jahre nach dem Unfall - fühle ich mich „wieder gut“ – will sagen: deutlich besser. Sonst wäre ich ja nie auf die Idee gekommen, einen Blog zu schreiben! Gemerkt habe ich es daran, dass ich morgens wieder in mein Müsli summte und mit dem Radio mitsang. Mir wird grad bewusst, dass wir alle immer nach vorn geschaut haben. Schließlich geht es ja nur vorwärts weiter, das Leben – in welcher Form auch immer. Aber jetzt, durch den Blick zurück auf die vergangenen drei Jahre kommt eine ruhige Freude und auch Stolz auf uns drei auf. Ein Versuch es bildlich auszudrücken: Toni ist der Dotter, Mama das Eiweiß und ich die Eierschale. Inzwischen sind die beiden innerlich so stabil und gefestigt, dass ich nicht mehr zwingend nötig bin. Wir drei sind also kein 10-Minuten- sondern eher ein 24-Monats-Ei! Aber vielleicht ist das auch ein albernes Bild… egal! ;-) 2012 << Es gibt eine Teepackung, auf der steht folgendes Zitat von William Shakespeare: "Oft ist's der eigne Geist, der Rettung schafft, die wir beim Himmel suchen." Den Tee mit diesem Spruch hatte ich ständig bei der Arbeit dabei. Ebenso auch Bachblüten-Notfalldrops. Manchmal ist es schon ein gutes Gefühl, wenn man wieder am Panik-Abgrund steht und dann etwas für sich selbst tun kann.
Einfach Wasser kochen, Teetasse festhalten. Aufpassen, du verbrennst dir noch die Zunge! Sich auf kleine Bereiche konzentrieren. Trotzdem sind wir „schnell“. Es gibt keine Schockstarre oder lähmende Untätigkeit, aber ich bin auch der Ansicht, es ist kein kopfloser Aktionismus. Nein. Wir denken einfach weiter – über den Schmerz hinweg – und planen. Für den Fall, wenn. Damit wir bereit sind. Wir verkaufen das Auto, weil es nicht rollstuhlgeeignet ist. Wir suchen eine behinderten-gerechte Wohnung, da Mama gleich zu Beginn das Ziel hat, ihn zu Hause selbst zu pflegen (mit Unterstützung, aber auf jeden Fall bei uns und nicht in einer Einrichtung). All das läuft schon in den ersten Wochen nebenbei an. Dabei stoße ich an meine Grenzen bei diesen Fragen:
Also, einen Schritt nach dem anderen, sämtliche Möglichkeiten für ihn offenlassen. Und ganz leise hoffen, dass er eines Tages all die Fortschritte schaffen möge die nötig sind, um die ganzen Dinge auch tatsächlich eines Tages selbst nutzen zu können. Trotzdem habe ich über lange Zeit oft dieses schreckliche Gefühl, das bestimmt viele kennen: Wenn man nach einer guten Nacht aufwacht, sich langsam aus der Traumwelt löst, in der man gerade Teil einer heiteren Familienszene war, um dann feststellen zu müssen, dass etwas oder alles fürchterlich anders und schrecklich falsch ist! Kaum waren meine Augen auf, schossen Tränen hinein und ich wünschte, ich könnte zurück. Könnte wieder mit ihm reden und lachen. Wieder nur Kind meiner Eltern sein, unbeschwert und unbelastet. Doch dann höre ich in mir die Stimme meiner Mutter, die nüchtern feststellt, dass Weinen uns nicht vorwärtsbringt. Obwohl ich da vielleicht anderer Meinung bin, hat es in diesem Moment bereits meine Aufmerksamkeit von mir selbst weg, hin zu ihr gelenkt und ich bin wieder fähig, aufzustehen und den Tag anzugehen. Während dem Frühstück rufe ich sie an und höre, wie es ihr geht, mache mir ein Bild von dem Tag, der vor ihr liegt und beginne meinen Arbeitstag. So surreal und nebensächlich mir das an manchen Tagen auch vorkommt. Der Gedanke ist häufig da, dass ich eigentlich mit ihr bei Toni in der Klinik sein sollte. Als könnte meine Anwesenheit etwas bewirken und seinen Zustand positiv verändern! Aber „Da-Sein“ ändert für mich etwas. Ich will dabei sein, es direkt mitkriegen, miterleben – so oft es eben geht. Nur so kann ich mich auch mit Mama austauschen, anstatt ihr nur zuzuhören und blöde Fragen zu stellen, auf die man mit Worten keine Antwort findet. Deshalb also bin ich nahezu immer bei ihnen – oder eben bei der Arbeit. Gerade in dieser persönlich schwierigen Zeit, empfinde ich bei meiner beruflichen Tätigkeit den vielseitigen menschlichen Kontakt und den „dienenden/helfenden Teil“ dabei als besonders heilend. Es ist einfach wohltuend, wenn man für andere Menschen (insbesondere Kinder) – in welch banaler Form auch immer – hilfreich sein kann. 2012<<
In der ersten Zeit des künstlichen Komas ist eigentlich alles unklar. Ich habe nicht das Gefühl, dass er „anwesend“ ist. Er liegt da, zwischen Maschinen und Monitoren, aber er ist einfach weg. Seine Füße, das einzige, das nicht irgendwie verkabelt ist, haben wir ständig in Bearbeitung. Wir massieren und halten, wärmen und drücken. Reflexzonenmassage kann ja nicht schaden und außerdem müssen wir doch irgendwie für Halt sorgen, eine Verbindung herstellen! Keiner kann uns sagen, ob er das überlebt. Und wenn ja, so kann auch keiner sagen, in welchem Zustand er dann wäre. Das ist mit dem Gehirn ja so eine gruselige Sache: manches regelt sich wieder, anderes nicht und für jede Funktion ist das Hirn unerlässlich. Die Vorstellung, dass er nicht ganz wieder aufwacht oder dass er aufwacht und dann nicht ertragen kann, wie sein Dasein sich dann gestaltet, erschreckt mich. Andererseits wünsche ich mir aufs Sehnlichste, er möge mich nicht verlassen. Was wäre das Beste für ihn? Was würde er wollen? Wie sich entscheiden? Er hatte schon immer einen Organspendeausweis und wir haben keine Zweifel, dass er unterstützen und helfen wollen würde. „Sollen Sie alles nehmen, was sie brauchen können!“ war seine Devise. Nur ist die Voraussetzung dafür aber nicht gegeben. Hirntod ist er eben nicht. Schon während der dritten OP am Unfalltag äußert Mama sich eindeutig: „Das ist jetzt sein Weg und wir unterstützen ihn und gehen mit – wie auch immer es ab hier weitergehen wird!“ Innerlich lassen wir ihn frei und gehen, sofern dies sein Weg sein soll. Mir ist jetzt nach 3 Jahren nicht mehr so klar, ob ich träumte oder ob ich mir das irgendwie ausgedacht hab. Im Grunde macht es ja auch keinen Unterschied. Ich spürte ihn nur nicht mehr, er war so weit weg und da malte ich mir aus, wo er jetzt gerade ist: Im Zwischenraum von Leben und Tod. Im selben Jahr ist meine Oma Klara verstorben und ich bin mir sicher, sie ist noch mal die zwei Schritte zurückgekommen, dorthin, wo er sich befindet und bleibt für die Komazeit bei ihm. In meiner Vorstellung ist ihm alles bewusst und er sieht, was uns verborgen bleibt. Ich sehe ihn dort mit Oma Klara und Gott zusammensitzen. Er darf Gott alles fragen und erhält Antworten. Hat die Freiheit sich völlig auszutoben, stob mit Oma Klara körperlos durch die gesamte Milchstraße und zurück… ich gönne ihm dieses Erlebnis. In meinen Gebeten bitte ich Gott darum, ihm eindeutig klar zu machen, welche Optionen er hat. Weiterzugehen und das „Leben danach“ zu wählen oder wieder zurück in seinen Körper zu kommen. Zurück zu den Schmerzen und der ungewissen Zukunft, ohne Genesungsgarantie, ohne Gewähr, ob dieser dann auch noch funktionieren würde. Zurück im Bewusstsein, dass das Leben nie mehr so wäre wie vor dem Unfall, dass er abhängig und pflegebedürftig sein würde. Ich bitte Gott darum, ihm das deutlich zu machen und ihn dann seine Entscheidung treffen zu lassen. Dabei schwanke ich selbst hin und her – wer kann da sagen, was besser wäre? Vor allem: besser für wen? Nur will ich nicht, dass er zurückkommt und dann an seinem Schicksal zerbricht. Und wie durch ein Wunder oder Gott sei Dank entscheidet er sich dafür, zurückzukommen. Mit einer Konsequenz und Willenskraft, die ich beeindruckend finde. Und ich bin unendlich dankbar dafür, dass er sich nicht aufgegeben hat, sondern seither täglich weiterkämpft. Vor ein paar Monaten habe ich ihm davon mal erzählt. Von Oma Klara, die sich dann in die andere Richtung verabschiedet hat. Vom Kaffeeklatsch mit Gott und seiner Spritztour durch die Milchstraße. Seine Reaktion war ein leises Lächeln, ein Kopfschütteln und ein Schulterzucken gleichzeitig. Natürlich weiß er davon nichts mehr. Das war ja Teil des Deals. Aber für mich ist das definitiv wahr! |
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |