Am 26. April 2018 um 18 Uhr ist im Konferenzraum des Hotel Stadt Balingen mal wieder Zeit für ein Treffen der „Selbsthilfegruppe Tracheostoma“ / „Schädel-Hirnpatienten in Not e.V. Balingen und Umgebung“.
Dabei fällt mir ein, dass ich noch immer nicht davon berichtet habe, womit Toni vorletztes Mal alle überrascht hat: Ich persönlich war leider nicht persönlich dabei – das schaffe ich einfach nicht, neben Arbeit und all dem anderen. Zeitlich und auch emotional-Kapazitäts-technisch. Nichtsdestotrotz bin ich immer interessiert, wer neu hinzukommt, wem es inzwischen wie geht und was überhaupt gesprochen worden ist. Das Treffen fand am üblichen Ort statt: Im Nebenraum eines Hotels, wo die Gruppe ungestört ist und wie immer gab es die Gelegenheit, etwas zu essen zu bestellen – für diejenigen, die das mögen. Das ist ja gerade für tracheotomierte Menschen das Allerschlimmste: nicht mehr in Gesellschaft „normal“ essen zu können. Diejenigen, bei denen es möglich ist, kleine Mengen in bestimmter Konsistenz zu sich zu nehmen, trauen sich das in Gesellschaft häufig nicht. Vielleicht aus Angst, sich schlimm zu verschlucken. Jedenfalls haben wir das bei Toni beobachtet. Doch in der „geschützten“ Umgebung der Selbsthilfegruppe, an deren Treffen regelmäßig auch die behandelnde Logopädin einiger Betroffener teilnimmt, überwindet der ein oder andere seine Hemmung. So auch Toni: obligatorisch ist seine Bestellung: Kräuteromelett! Je nach Konstellation der Gruppe, besonders bei neuen Gesichtern, findet danach eine kurze Vorstellungsrunde statt. Vorletztes Mal begann die Runde wie gewohnt und als die Person neben Toni mit ihrer Vorstellung fertig war, begann Mama als letzte, etwas zu Toni, zu sich und den beiden Selbsthilfegruppen zu sagen. Allerdings kam sie nicht weit! Sie holte Luft und bemerkte dann, dass Toni den rechten Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger Richtung Raummitte hob und schluckte. Dann begann er: „I bin dr Toni Merbach, Elektriker bei der Firma ***.“ Mama: „Und was ist Dir passiert?“ Toni: „I bin beim Schaffa auf d Kopf gfalla!“ (Bei der Arbeit auf den Kopf gefallen) Mama: „Und wie geht’s Dir jetzt?“ Toni: „Guat!“ Das hat die komplette Runde völlig überrascht und gefreut. Diejenigen, die seit Beginn dabei waren, konnten ja selbst beobachten, welche Fortschritte Toni gemacht hat. Aber dass er sich in diesem Rahmen selbst in den Mittelpunkt stellen würde... damit hat sicher keiner gerechnet! Tja, danach lief alles wie gewohnt weiter: der Austausch, das Essen... und zusätzlich das Staunen über manche Wunder! Manchmal haut Toni abends noch einen Brüller raus. Zwei Beispiele möchte ich hier kurz festhalten:
Am Abend gibt es immer die gleichen Rituale, bevor Toni ins Bett gebracht wird. Die Lagerungskissen werden im Wohnzimmer gelassen, die Decken um Schulter und Beine ebenfalls. Die Nahrung muss durchgelaufen sein, der PEG-Schlauch nachgespült. Die Leitung wird ab-gestöpselt und seine Brille setzt er ab und sie bleibt im Wohnzimmer auf dem Tisch liegen. Danach geht es ins Bad für die Abendhygiene: Platzhalter sauber machen, Zähne putzen, Schlaf-Klamotten anziehen... Neulich abends nahm er die Brille ab, arbeitete bei allem gut mit (Ellbogen hoch, Beine vor, Beine zurück etc.). Alles war fertig und Mama wollte ihn ins Bad fahren, da greift er völlig unerwartet nach seiner Brille und setzt sie sich auf. Darauf angesprochen meinte er ganz trocken: „I will gucka wo's na goht!“ (Ich will sehen, wo es hin geht) Und ein anderes Mal saß er vor dem Fernseher, schlief aber bereits seit Minuten deutlich erkennbar. Auf die Frage, ob er denn nicht müde sei und so langsam mal ins Bett möchte, antwortete er: „Nein!“ „Warum nicht, du bist doch ganz müde!“ „No ka i nimme doh schlofa!“ (Dann kann ich nicht mehr hier schlafen) |
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |