Hier mal ein Versuch, den Unterschied von Kanüle und Platzhalter visuell deutlich zu machen: Mehr über Tonis Entwicklungen mit der gefensterten Kanüle / bzw. Platzhalter folgt demnächst.
Bis dahin: Gutes Neues Jahr! Da fragt jemand nach, wie es Toni inzwischen geht. Ich spreche von Fortschritten, die enorm sind und uns freuen und überraschen. Die nächste Frage kann dann sein: „Ja, wann geht er dann wieder arbeiten?“
Bei Toni ist das anders. Aber wie genau? Heute also ein Versuch, das mal umfassend darzustellen: Physisch: Toni sitzt im Rollstuhl, weil seine Muskulatur nach der langen Wach-Koma-Phase erst langsam wieder aufgebaut werden muss. Er hat aber keine dauerhafte Lähmung. Eine lange Zeit war in seiner linken Körperhälfte ein starker Tonus, eine Krampfhaltung des Arms und auch des Beines. Die kann er inzwischen mäßig gut selbst auflockern. Doch wenn es ihm schlecht geht, er gähnt oder hustet kehrt der Tonus verstärkt in den linken Arm zurück. Noch immer ist die linke Körperseite seine stärker-betroffene Seite. Bei Hand und Arm ist das sehr deutlich. Die Rumpfhaltung ist asymmetrisch linkes etwas eingeknickt. Auch bei den Beinen spürt man, dass er links noch schwächer ist als auf der anderen Seite. Er trainiert den linken Arm in der Ergotherapie, die Rumpfmuskulatur in der Physiotherapie. Vor etwa einem Jahr wollte er plötzlich aufstehen. Seitdem trainieren wir das Stehen und Gehen auch von Zeit zu Zeit. Wiedererwacht: In Toni Fall würde ich nicht sagen, dass er „wieder aufgewacht“ ist. Dabei stellt man sich vor, wie wir morgens dem Wecker eins draufhauen, so langsam wieder alle Bewusstseins-Persönlichkeits-Stücke zusammensetzen, uns räkeln und anfangen, den Tag im Geiste durchzugehen. So ist er nicht aufgewacht. Die Wachkoma-Phase von Toni ging nach einigen Monaten in das von Ärzten diagnostizierte Apallische Syndrom über. Ich persönlich hatte oft auch den Eindruck, dass er möglicherweise sogar an dem „Locked in“-Syndrom leidet. Das mag zwar meine Einbildung sein, doch ich war früh überzeugt, dass er uns hört, versteht und erkennt. Nur war es ihm nicht möglich, sich mitzuteilen. Selbstverständlich nicht gleich durch Worte, aber auch nicht durch Gesten, kleine Augenbewegungen oder Ähnliches. Es dauerte lange, bis er das konnte. Nach dem „Nicken-mit-den-Augen“ kam langsam Leben in die rechte Hand. Er kehrte in seinen Körper zurück, Stück für Stück (und damit meine ich Millimeter für Millimeter) und über einen langen Zeitraum hinweg! Der Beginn war die rechte Hand. Inzwischen bewegt er sich mehr. Auch nachts im Bett, daher muss er nachts nicht mehr zwingend alle zwei bis drei Stunden gelagert werden. Während des langsamen Aufwachens sagte man uns in Allensbach, dass es besser sei, ihn nicht durch Besuchermassen zu überfordern. Es reagierte auf Mama und mich, wohl auf die bekannten Stimmen. Auch heute noch ist es ihm manchmal offenbar am liebsten, er hört unseren Gesprächen zu ohne daran teilnehmen zu müssen. Dabei ist er oft tiefenentspannt und schläft häufig ein. Die Zeiträume in denen er ganz da ist, aufmerksam im Hier und Jetzt, teilnimmt am Geschehen und vielleicht auch mal über Situationskomik lacht, wurden im Laufe der Jahre länger. Von wenigen Minuten am Tag auf mehrere Phasen verteilt bis zu heute mehrere Stunden am Stück. Je nach Tagesform variiert das natürlich. Sein Kurzzeitgedächtnis ist definitiv beeinträchtigt. Er erinnert sich selten daran, was gestern oder vor ein paar Stunden war. An seine Vergangenheit kann er sich hingegen sehr gut erinnern. Er erkennt auch Freunde und Verwandtschaft ohne Probleme. Gespräche mit Toni zu führen ist in der Regel ein Frage-Antwort-Spiel und geht häufig von uns aus. Wenn er sich mal zu Wort meldet, was natürlich auch vorkommt, dann möchte er entweder etwas verändern (Radio ausschalten, anderen Fernsehsender einstellen, ins Bett oder spazieren gehen) – konkrete Dinge eben. Oder er fängt an zu reden aus einer seiner „Innen-Reisen“ heraus. Beispielsweise fordert er Mama auf, den Monitor abzuklemmen oder die kleinen, schwarzen Magnetkontakte holen. Folglich ist er gerade auf irgendeiner Baustelle und ziemlich beschäftigt. Ein anderes Beispiel: Wenn er eine Zeit ferngesehen hat, kommt es häufig vor, dass er sich umdreht um uns dann zu verkünden: „Ich fahr jetzt nach Hause!" - "Wo ist das?" - "In Herbertingen!“ Das mit dem Schädel-Hirn-Trauma und seinen Fähigkeiten oder Einschränkungen ist wirklich nicht leicht zu erklären. Er ist – wenn er richtig da ist – immer noch schneller im Kopfrechnen als ich. Rommée spielen wir gern und er kann es so gut wie früher. Nur hält er die Karten nicht in der Hand, sondern steckt sie vor sich in einen Kartenbogen und das dauert eben etwas länger. Aber zu spielen ist dennoch möglich, so wie früher. Aber einem Gespräch über längere Zeit zu folgen, strengt ihn sehr an. Da nimmt er sich dann einfach raus, driftet irgendwie weg, ist in sich und schließt die Augen. Ihn von da zurückholen ist inzwischen immer möglich und er weiß dann auch meist, worum es geht oder kann Antwort geben, wenn er gefragt wird. Also hingegen meiner Befürchtung nach der Internetrecherche über Schädel-Hirn-Trauma-Patienten ist er vom Wesen und seiner Persönlichkeit unverändert. Das hätte auch ganz anders sein können: Dass er keinen mehr kennt, sich nicht an seine Vergangenheit erinnert, schnell wütend und aufbrausend ist, nichts mehr von seinem Charakter erkennbar ist. Mit all dem mussten wir rechnen. Deshalb sind wir so dankbar! Er ist trotz aller Veränderungen unverändert – wenn ihr versteht, was ich sagen möchte. Er hat große Fortschritte gemacht, mit denen niemand gerechnet hat und die im Grunde unmöglich oder zumindest unwahrscheinlich scheinen. Für uns ist das schon unglaublich viel! Jeder Arzt ist verwundert. Tonis Entwicklung ist Wunder-voll und seinem Ehrgeiz zu verdanken. Mir kamen die Tränen, als ich zum ersten Mal nach Jahren seine Stimme wieder hören konnte. Jedes Mal, wenn er meinen Namen sagt, bin ich gerührt und freue mich. Vor ein paar Monaten las Mama irgendetwas und hat nicht gesehen, dass er sich zu ihr wandte und den rechten Zeigefinger hob, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich saß dabei und wartete einfach ab. Er schluckte, holte Luft und sagte „Elfriede?“ – und Mama war völlig aus dem Häuschen. Wie elektrisiert und total begeistert sprang sie auf – das war richtig schön. Vor allem, weil er lächelte und sich über die Reaktion freute, die er durchs Sprechen ausgelöst hat. Ja, er macht Fortschritte. Nach der langen Zeit, in der auf jeden Fortschritt ein oder zwei Rückschläge folgten, sind wir froh, wenn alles so bleibt wie es jetzt ist. Er ist Toni. Aber eben die Version nach dem Unfall. Er kann und wird nie mehr so sein, wie davor. Das erwarten wir auch nicht. Bei seinen Zielen unterstützen wir ihn, trainieren das Gehen und Stehen, üben das Sprechen und Essen. Wir genießen die Zeit mit ihm. Er weiß, was passiert ist – zwar erinnert er sich nicht daran, aber er weiß, woher er die Narben auf dem Kopf hat und warum. Mama fragte ihn vor zwei Tagen, ob das Leben jetzt ganz schlimm für ihn ist und er antwortete mit einem Kopfschütteln. Wir sind wirklich zufrieden mit der aktuellen Ausgabe von ihm! P.S.: Frohe Weihnachten! <<2013
Am 30.09.2013 zieht Toni um nach Balingen. Das ist ziemlich kompliziert und aufregend. In der Intensiv-WG hat er ein Zimmer und sein eigenes Krankenbett. Die meiste Zeit des Tages liegt er im Bett, wird immer mal wieder anders gelagert. Etwa für 2 Stunden pro Tag wird er „mobilisiert“ und in seinen Rollstuhl gesetzt. Dort hat er auch Therapien, aber davon kriegen wir nicht so viel mit. Abgesehen vom Ablauf des Umzugstages muss ja auch im Vorfeld die Pflege mit dem ausgewählten Pflegedienst detailliert besprochen werden. Weil da eben so viel dranhängt und das Zimmer in der WG gekündigt ist, ist es unmöglich, den Umzugstermin zu verschieben. Das muss klappen, selbst wenn in der neuen Wohnung noch nicht alles fertiggestellt ist. Also kommt der Monteur vom Sanitätshaus kurz vor dem Transport in die WG nach Gomaringen. Toni wird in den Multifunktions-Rollstuhl geliftet und mit dem bestellten Rollstuhl-Transport vom KBF zusammen mit Mama nach Balingen gefahren. Ganz langsam und vorsichtig. In der Zeit wird das Bett abmontiert und nach Balingen transportiert. Dort warte ich auf den Bett-Monteur und lass ihn herein. Ungeduldig kann ich es kaum erwarten, zu sehen, ob die erste Fahrt im Rollstuhl gut verlief. Endlich kommt der Caddy langsam vor dem Haus zum Stehen. Ich renn hin und her, bitte die Arbeiter vorm Haus um Hilfe, ihn mitsamt dem Rollstuhl ins Haus zu heben. Noch sind die Außenanlagen nicht fertig, daher ist der Absatz mit 20 Zentimeter quasi unüberwindbar. Mama ist ruhiger und konzentrierter als ich, aber erschöpft von Missverständnissen mit den jetzt ehemaligen Pflegekräften. Es war nichts vorbereitet, so musste sie noch alles einpacken, was Toni täglich braucht und was folglich mit umziehen soll. Toni ist fest eingepackt, soweit ganz okay und wach. Die vier Männer packen gern mit an und plötzlich steht er mitten im Raum. Ist endlich da – was für ein unwirklicher Moment! Das Bett steht im Wohnzimmer, da das Schlafzimmer noch nicht bezugsfertig ist. Als alle weg sind und wir zu dritt im Wohnzimmer stehen, löst sich bei mir durchs Weinen die enorme Anspannung. Ein Pfleger vom künftigen Pflegedienst kommt vorbei. Er lernt Toni ein wenig kennen, der antwortet mal mit Grinsen oder Schulterzucken. Auch den Transfer von Toni vom Rollstuhl ins Bett übernimmt diese Pflegekraft. Allerdings startet die wirkliche Pflegeunterstützung erst in 7 Tagen. Jetzt erstmal wird Mama alles allein machen. Die Schienen für den Deckenlift können erst ein paar Tage später montiert werden. Glücklicherweise sogar einmal quer durch die Wohnung. Dort fängt es also an. Zwischen Umzugskisten und Pflegematerial liegt er im Bett und Mama schläft in der kommenden Nacht daneben auf dem Sofa. (Bzw. liegt, weil an Schlaf nicht zu denken ist. Anfangs laufen und brummen die Trocknungsgeräte noch stundenlang im Bad/Schlafzimmer. Wirklich ruhig ist das also nicht.) Soweit möglich haben wir uns alle nach ein paar Stunden auf die neue Situation eingestellt. Zu sehen, wie selbstsicher Mama umsetzt, was sie sich bestimmt im Vorfeld so oft ausgemalt hat, beruhigt mich. Genauso sehr wie Toni, der endlich bei uns ist und einen fast entspannten Eindruck macht. Zu der Zeit lesen wir vor allem aus seinem Gesichtsausdruck, der Kälte/Wärme seiner Hände und vor allem an seiner Pulsfrequenz, wie es ihm geht. Also mache ich mich nach insgesamt etwa 4 Stunden Umzugs-Pause wieder auf den Weg zur Arbeit. <2015>
Nach dem Essen, Sprechen nicht vergessen! In der Logopädie-Stunde isst Toni häufig sein "Frühstück". Danach ist es besonders wichtig, die Stimmlippen wieder frei zu kriegen! Da soll nichts drüberhängen und später beim Einatmen die Luftröhre runterrutschen! Nur durchs Räuspern, Schlucken oder Husten klappt das bei Toni nämlich nicht. Vor allem, da er mit dem "Husten-auf-Kommando" noch ziemliche Probleme hat. Dazu bräuchte er noch viel kräftigere Muskeln - wir trainieren noch. Effektiver ist es momentan, ihn zum Sprechen zu animieren. Nun war Toni auch früher (also vor dem Unfall) eher sparsam in der Kommunikation. In der Therapie mit der Logopädin wurde daher gleich zu Beginn tief Verinnerlichtes von ihm erfragt: Er soll
Macht er alles, von "Wiedehopf" bis Uganda ist alles drin! Er sorgt da schon für Abwechslung und Überraschungen! Ersatunlich - vor allem, weil durch das Schädel-Hirn-Trauma und die lange Wachkoma-Phase noch vor ca. anderthalb Jahren nicht klar war, ob und was er überhaupt verstehen kann! Sprachaphasie und Sprachapraxie standen da im Raum. Dazu aber ein andermal mehr! Heute geht es ja ums Reden! Natürlich dauert das Sprechen bei Toni seine Zeit. Zwischendurch muss er immer mal wieder schlucken (und das geht ja bei Toni nicht automatisch - er muss sich bei jedem Schluck konzentrieren) oder Gähnen und danach schlucken. Es dauert eben alles - Entschleunigung pur! Heute nach dem Essen schaut er also auf seinen selbst-gesticktes Kalender-Wandbild, während er die Monate aufzählt. So wie ich das aus ihrer Erzählung rausgehört habe, ist noch immer was im Hals! Also bittet die Logopädin (oder Mama) ihn, das Alphabet aufzusagen. Und Toni: "A - B - C -[...] - Fau - Weeh - Iggs - Übbsilon - November!" Ich habe Tränen gelacht!! :-) <2015>
Was zu "Tracheostoma" alles gesagt werden sollte, ist ziemlich komplex. Nähern wir uns dem Thema also in kleinen Schritten und kompakten Abschnitten. Heute: Der Zustand jetzt: Derzeit ist sein chirurgisch angelegtes Tracheostoma mit einem Platzhalter verschlossen. Dieser hält den Zugang zur Luftröhre noch offen, was im Bedarfsfall ein Absaugen ermöglicht. Das ist dann nötig, wenn er Sekret oder Speichel nicht selbst oder richtig abhusten kann. Vor einigen Tagen war das tatsächlich mal wieder soweit. Eine ganz lange Phase benötigte er diese Unterstützung nicht mehr. Das ging schon so lange, dass Mama sogar das Gerät eingepackt und verstaut hat, weil es nur rumstand und einstaubte. Im Unterschied zu Trachealkanülen dringt ein Platzhalter nur ganz gering in die Luftröhre (Trachea) ein. Der Übergang wird mit einem vorgeformten Rand, der sich von innen an die Luftröhre schmiegt fixiert. So kann nichts abrutschen. Ein Fixierungsband außen um den Nacken ist nicht mehr notwendig. Außen steht der Platzhalter etwas hervor, allerdings nicht mehr so weit wie früher die Kanüle samt Aufsatz (Sprechventil oder feuchte Nase). Diesen Platzhalter hat Toni bekommen, weil er die Kost meist zuverlässig gut (=richtig) geschluckt hat. Falls doch mal was „in den falschen Hals“ kam, hat er es immer hochgehustet. Inzwischen spürt er es sehr schnell, wenn da was schiefläuft. Fakt Nr. 1: Die Basis ist der kräftige und zuverlässige Hustenstoß! Mit dem Platzhalter atmet er dauernd über die oberen Atemwege, also Mund/Nase, kann sprechen, je nach Tagesform zusätzlich zur Sondenkost auch zum Genuss essen. Er isst breiige Konsistenzen (Pudding & Apfelmus, Kartoffelbrei mit Spinat und Eigelb, Hefezopf in Kaba getunkt, Marmeladenbrot ohne Rand). Seit er vor einem Jahr seine Zähne bekommen hat, ist vieles leichter geworden. Zu schlucken fällt leichter, wenn die Zunge innen an die Zähne anstoßen kann. Im Übrigen ist das Sprechen damit auch einfacher und er ist besser verständlich. (Ganz zu schweigen vom ästhetischen Eindruck!) Tonis Schluckreflex ist ja gestört, deshalb muss er durch das mühsame Schlucktraining hindurch. Dabei hilft natürlich, wenn er auch kauen kann. Vor allem aber muss er sich konzentrieren, wahrnehmen wo im Mund die Nahrung ist und dann bewusst schlucken, wodurch auch der Atem kurz unterbrochen wird. Am besten wenn er den Blick auf seine Knie richtet. Für die selbständige Nahrungsaufnahme gibt es bei uns feste Regeln: Klare Aufgaben für Toni und keine Ablenkung unsererseits während er isst! Das hat sich Toni dank vieler Therapie-Stunden und Mamas aufopferungsvoller Pflege bisher erarbeitet. Er frühstückt täglich. Manchmal stellt ihm Mama ein Glöckcken daneben und räumt währenddessen irgendwas auf. Wenn er sie braucht oder fertig ist, klingelt er einfach. Selbstverständlich zieht er sich greifbare Teller zu sich her und beginnt zu essen, wenn er das möchte. Ganz egal, ob das Teller auf einem Restauranttisch oder bei Familie/Freunden im Wohnzimmer vor ihm steht. Völlig egal, ob da Familie oder Fremde hinschauen - er genießt die Erdbeertörtchen oder Maultaschen mit Kartoffelsalat! Diese Selbstverständlichkeit ist beeindruckend - vor allem, weil wir davor über so lange Zeit beim gemeinsamen Essen spürten, dass er davon ausgeschlossen ist. Ein Mensch mit Tracheostoma fühlt sich in sehr vielen Situationen ausgegrenzt. Ich freue mich für Toni, dass er sich langsam davon freimachen kann! 2012/2013<<
Seltsam, wie sehr das zurückkatapultiert! Ich persönlich empfand mich immer als die „abschirmende zweite Reihe“. Eine Verbindung zur Verwandtschafts- und Freundeskreis-Welt. Ich übernahm dann die Kommunikation, wenn Mama dazu nicht mehr in der Lage war. Oberstes Ziel war stets, Mama dort an vorderster Front dabei zu unterstützen, für Tonis Wohl zu kämpfen. Es ist uns beiden nie in den Sinn gekommen, z.B. Wellness zu machen. Nicht, solange es ihm nicht gut geht. Viele sagen meiner Mutter, sie müsse auch an sich selbst denken. Sich nicht vernachlässigen. Das ist ja auch alles richtig. Nur: Die allererste Grundvoraussetzung für ihr Wohlbefinden war nun einmal, dass es ihm gut geht. Das dauerte aber eine ganze Weile! Durch die verschiedenen Stationen nach der Deckelung hindurch kam langersehnt im Oktober 2013 der Tag, an dem er in das neue Zuhause einzog. Als er mit den Jahren so langsam Fortschritte machte, lief das mit der Pflege zu Hause nach einigen notwendigen Anpassungen dann so, dass es für die beiden eine Entlastung und keine zusätzliche Belastung war. Und da, langsam, weitete sich der Fokus und auch Mamas Wohl geriet mehr und mehr wieder ins Lot. Erst zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht mehr das Gefühl, mit aller Kraft alles zusammenhalten zu müssen. So langsam zur Ruhe kommen, versuchen zu entspannen. Zeitlich ist das etwas mehr als 2 Jahre nach dem Unfall. Alles bei ihm ist soweit stabil, kein Grund zur Sorge, nur Positives zu berichten - und dennoch fühle ich mich erschöpft, leer und oft traurig. Sich ständig zu sorgen ist wirklich extrem anstrengend. Und noch dazu ändert es nichts. Tja, aber wie sich Sorgen abschalten lassen, habe ich noch nicht herausgefunden. Jetzt/heute – insgesamt knapp über 3 Jahre nach dem Unfall - fühle ich mich „wieder gut“ – will sagen: deutlich besser. Sonst wäre ich ja nie auf die Idee gekommen, einen Blog zu schreiben! Gemerkt habe ich es daran, dass ich morgens wieder in mein Müsli summte und mit dem Radio mitsang. Mir wird grad bewusst, dass wir alle immer nach vorn geschaut haben. Schließlich geht es ja nur vorwärts weiter, das Leben – in welcher Form auch immer. Aber jetzt, durch den Blick zurück auf die vergangenen drei Jahre kommt eine ruhige Freude und auch Stolz auf uns drei auf. Ein Versuch es bildlich auszudrücken: Toni ist der Dotter, Mama das Eiweiß und ich die Eierschale. Inzwischen sind die beiden innerlich so stabil und gefestigt, dass ich nicht mehr zwingend nötig bin. Wir drei sind also kein 10-Minuten- sondern eher ein 24-Monats-Ei! Aber vielleicht ist das auch ein albernes Bild… egal! ;-) <2015>
In den letzten Tagen ist mir deutlich aufgefallen, wie besonders die Fortschritte sind, die Toni macht. Seine Stimme ist lauter als bisher. Ich muss nicht mehr ständig nachfragen, was er meint, wenn er so klar und gut hörbar spricht. Heute Morgen rief ich kurz an, da lag er noch gemütlich faul im Bett. Mama läuft also mit dem Telefon und mir auf Lautsprecher ins Schlafzimmer: „Guten Morgen, Toni!“ „Guten Morgen, Karin!“ „Wie geht’s Dir?“ „Danke, gut.“ „War die Nacht okay?“ „Ja.“ „Willst du dann jetzt aufstehen oder bleibst du noch liegen und ruhst dich aus?“ „Ich ruh mich aus!“ „Alles klar, dann bis später!“ „Ja, tschüß.“ Manchmal weiß er nicht, wer gerade am Telefon ist. Er erkennt nicht immer die Stimme. Auch nicht immer, wenn man gerade vor ihm steht. Vielleicht ist er in dem Moment in Gedanken ganz woanders - z.B. in der Vergangenheit. Dann deutet er auf mich und sagt im Brustton der Überzeugung „Das ist (Name seiner jüngeren Schwester)!". Naja, aber meistens – so wie heute – ist er ganz da und folgt dem Geschehen und den Gesprächen aufmerksam. Vor ein paar Tagen hob er den Zeigefinger, winkte Mama heran und bat sie mit folgenden Worten: „Wenn du Zeit hättest, tätest du mich dann ins Bett?“ (mir sind Schwaben, darum ist tätest also eigentlich „dädescht“ ein normalgebräuchlicher Begriff) Wir waren völlig überrascht und erfreut über diese rücksichtsvolle Formulierung. Früher legte er entweder die Handflächen (pantomimisch quasi ein Kissen) aneinander und führte dann beide Hände an seine Wange. Etwas später dann sagte er einfach „Ich geh jetzt ins Bett!“ oder „Ich will ins Bett!“ Also durchaus eine Veränderung, eine rührende und erstaunliche, wie ich finde. :-) Ähnlich erstaunlich war vor ein paar Tagen: Zeigerfinger, Mama herwinken, als sie kurz vorbeikam und fragen: „Was ist das für ein Geräusch?“ „Die Dunstabzugshaube in der Küche. Ich koche gerade.“ Aha, Nicken. Finger runter. Kurz darauf wieder von vorn: Zeigefinger, heranwinken und fragen: „Was kochst du gerade in der Küche für Karin?“ Er nimmt Anteil, bekommt viel mehr mit, ist meistens da und ganz oft lacht er über Situationskomik, den neuen Asterix-Comic (der er völlig vertieft verschlang), blöde Grimassen - er lacht! Wie schön - ich bin sehr dankbar darüber! Was wir im Laufe von drei Jahren an Hilfsmitteln so alles kennengelernt haben - bestimmt fällt mir da noch etwas mehr ein... :-)
2012 << Es gibt eine Teepackung, auf der steht folgendes Zitat von William Shakespeare: "Oft ist's der eigne Geist, der Rettung schafft, die wir beim Himmel suchen." Den Tee mit diesem Spruch hatte ich ständig bei der Arbeit dabei. Ebenso auch Bachblüten-Notfalldrops. Manchmal ist es schon ein gutes Gefühl, wenn man wieder am Panik-Abgrund steht und dann etwas für sich selbst tun kann.
Einfach Wasser kochen, Teetasse festhalten. Aufpassen, du verbrennst dir noch die Zunge! Sich auf kleine Bereiche konzentrieren. Trotzdem sind wir „schnell“. Es gibt keine Schockstarre oder lähmende Untätigkeit, aber ich bin auch der Ansicht, es ist kein kopfloser Aktionismus. Nein. Wir denken einfach weiter – über den Schmerz hinweg – und planen. Für den Fall, wenn. Damit wir bereit sind. Wir verkaufen das Auto, weil es nicht rollstuhlgeeignet ist. Wir suchen eine behinderten-gerechte Wohnung, da Mama gleich zu Beginn das Ziel hat, ihn zu Hause selbst zu pflegen (mit Unterstützung, aber auf jeden Fall bei uns und nicht in einer Einrichtung). All das läuft schon in den ersten Wochen nebenbei an. Dabei stoße ich an meine Grenzen bei diesen Fragen:
Also, einen Schritt nach dem anderen, sämtliche Möglichkeiten für ihn offenlassen. Und ganz leise hoffen, dass er eines Tages all die Fortschritte schaffen möge die nötig sind, um die ganzen Dinge auch tatsächlich eines Tages selbst nutzen zu können. Trotzdem habe ich über lange Zeit oft dieses schreckliche Gefühl, das bestimmt viele kennen: Wenn man nach einer guten Nacht aufwacht, sich langsam aus der Traumwelt löst, in der man gerade Teil einer heiteren Familienszene war, um dann feststellen zu müssen, dass etwas oder alles fürchterlich anders und schrecklich falsch ist! Kaum waren meine Augen auf, schossen Tränen hinein und ich wünschte, ich könnte zurück. Könnte wieder mit ihm reden und lachen. Wieder nur Kind meiner Eltern sein, unbeschwert und unbelastet. Doch dann höre ich in mir die Stimme meiner Mutter, die nüchtern feststellt, dass Weinen uns nicht vorwärtsbringt. Obwohl ich da vielleicht anderer Meinung bin, hat es in diesem Moment bereits meine Aufmerksamkeit von mir selbst weg, hin zu ihr gelenkt und ich bin wieder fähig, aufzustehen und den Tag anzugehen. Während dem Frühstück rufe ich sie an und höre, wie es ihr geht, mache mir ein Bild von dem Tag, der vor ihr liegt und beginne meinen Arbeitstag. So surreal und nebensächlich mir das an manchen Tagen auch vorkommt. Der Gedanke ist häufig da, dass ich eigentlich mit ihr bei Toni in der Klinik sein sollte. Als könnte meine Anwesenheit etwas bewirken und seinen Zustand positiv verändern! Aber „Da-Sein“ ändert für mich etwas. Ich will dabei sein, es direkt mitkriegen, miterleben – so oft es eben geht. Nur so kann ich mich auch mit Mama austauschen, anstatt ihr nur zuzuhören und blöde Fragen zu stellen, auf die man mit Worten keine Antwort findet. Deshalb also bin ich nahezu immer bei ihnen – oder eben bei der Arbeit. Gerade in dieser persönlich schwierigen Zeit, empfinde ich bei meiner beruflichen Tätigkeit den vielseitigen menschlichen Kontakt und den „dienenden/helfenden Teil“ dabei als besonders heilend. Es ist einfach wohltuend, wenn man für andere Menschen (insbesondere Kinder) – in welch banaler Form auch immer – hilfreich sein kann. |
Kategorien
Alle
Archive
August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |