2012 << Es gibt eine Teepackung, auf der steht folgendes Zitat von William Shakespeare: "Oft ist's der eigne Geist, der Rettung schafft, die wir beim Himmel suchen." Den Tee mit diesem Spruch hatte ich ständig bei der Arbeit dabei. Ebenso auch Bachblüten-Notfalldrops. Manchmal ist es schon ein gutes Gefühl, wenn man wieder am Panik-Abgrund steht und dann etwas für sich selbst tun kann.
Einfach Wasser kochen, Teetasse festhalten. Aufpassen, du verbrennst dir noch die Zunge! Sich auf kleine Bereiche konzentrieren. Trotzdem sind wir „schnell“. Es gibt keine Schockstarre oder lähmende Untätigkeit, aber ich bin auch der Ansicht, es ist kein kopfloser Aktionismus. Nein. Wir denken einfach weiter – über den Schmerz hinweg – und planen. Für den Fall, wenn. Damit wir bereit sind. Wir verkaufen das Auto, weil es nicht rollstuhlgeeignet ist. Wir suchen eine behinderten-gerechte Wohnung, da Mama gleich zu Beginn das Ziel hat, ihn zu Hause selbst zu pflegen (mit Unterstützung, aber auf jeden Fall bei uns und nicht in einer Einrichtung). All das läuft schon in den ersten Wochen nebenbei an. Dabei stoße ich an meine Grenzen bei diesen Fragen:
Also, einen Schritt nach dem anderen, sämtliche Möglichkeiten für ihn offenlassen. Und ganz leise hoffen, dass er eines Tages all die Fortschritte schaffen möge die nötig sind, um die ganzen Dinge auch tatsächlich eines Tages selbst nutzen zu können. Trotzdem habe ich über lange Zeit oft dieses schreckliche Gefühl, das bestimmt viele kennen: Wenn man nach einer guten Nacht aufwacht, sich langsam aus der Traumwelt löst, in der man gerade Teil einer heiteren Familienszene war, um dann feststellen zu müssen, dass etwas oder alles fürchterlich anders und schrecklich falsch ist! Kaum waren meine Augen auf, schossen Tränen hinein und ich wünschte, ich könnte zurück. Könnte wieder mit ihm reden und lachen. Wieder nur Kind meiner Eltern sein, unbeschwert und unbelastet. Doch dann höre ich in mir die Stimme meiner Mutter, die nüchtern feststellt, dass Weinen uns nicht vorwärtsbringt. Obwohl ich da vielleicht anderer Meinung bin, hat es in diesem Moment bereits meine Aufmerksamkeit von mir selbst weg, hin zu ihr gelenkt und ich bin wieder fähig, aufzustehen und den Tag anzugehen. Während dem Frühstück rufe ich sie an und höre, wie es ihr geht, mache mir ein Bild von dem Tag, der vor ihr liegt und beginne meinen Arbeitstag. So surreal und nebensächlich mir das an manchen Tagen auch vorkommt. Der Gedanke ist häufig da, dass ich eigentlich mit ihr bei Toni in der Klinik sein sollte. Als könnte meine Anwesenheit etwas bewirken und seinen Zustand positiv verändern! Aber „Da-Sein“ ändert für mich etwas. Ich will dabei sein, es direkt mitkriegen, miterleben – so oft es eben geht. Nur so kann ich mich auch mit Mama austauschen, anstatt ihr nur zuzuhören und blöde Fragen zu stellen, auf die man mit Worten keine Antwort findet. Deshalb also bin ich nahezu immer bei ihnen – oder eben bei der Arbeit. Gerade in dieser persönlich schwierigen Zeit, empfinde ich bei meiner beruflichen Tätigkeit den vielseitigen menschlichen Kontakt und den „dienenden/helfenden Teil“ dabei als besonders heilend. Es ist einfach wohltuend, wenn man für andere Menschen (insbesondere Kinder) – in welch banaler Form auch immer – hilfreich sein kann. Kommentare sind geschlossen.
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |