Diese Woche hatte ich Geburtstag.
Normalerweise macht man sich da Gedanken, wie man sich den Tag zu etwas Besonderem machen kann. Ob und wie und was ich für Kuchen besorge oder am Abend etwas vom Chinesen holen soll - das war meine größte "Sorge". Dann komme ich morgens bei Mama & Toni an, stehe vor verschlossenen Türen ... da stimmt was nicht! Also rufe ich sie auf dem Handy an, damit sie mich reinlässt. Ich treffe Mama völlig durcheinander an und reime mir aus den Satzfetzen folgendes zusammen: Sie hat die Nacht an Tonis Bett stehend verbracht. Er hat nachts schlagartig Fieber und Schüttelfrost bekommen. Jetzt klagt er über starke Kopfschmerzen. Sie hat sich erst gegen Morgen kurz hingelegt und dann verschlafen. Mir fährt es in den Magen. Nach etwa 10 Minuten ist Mama auf normalem Gesprächsmodus und kommt, um mich zu umarmen. "39!" sagt sie. Und ich antworte "Nö, 38!" und denke: echt nicht viel Schlaf, wenn du mich ein Jahr älter machst. "Toni hat 39 Fieber!" - "Oh!" An Tonis Bett gehen uns gleichzeitig dieselben Dinge durch den Kopf. Sein Kopfschmerz ist sehr stark. Nur auf der rechten Seite. Dort liegt der Shunt. Ist damit was nicht in Ordnung? Ich denke: Wie organisieren wir das alles, falls wir in die Klinik müssen? In 5 Minuten muss ich auf der Arbeit sein. Dann fällt mir ein, dass der Neurologe uns erklärt hat, woran wir merken, wenn mit dem Shunt was nicht stimmt. Da Toni sich aber klar äußern kann und spricht, beruhige ich mich dahingehend, dass alles nicht sofort und so schnell gehen wird. Erstmal abwarten, ob die Medikamente Besserung bringen. Nichtsdestotrotz ist mein Körper voll von ALARM-Signalen. Alles komplett durcheinander! Doch mir bleibt nur, mich auf den Weg zur Arbeit zu machen und in einer oder zwei Stunden mal nachzufragen, wie es aussieht, ob sie von der Hausärztin etwas gehört hat. Letztendlich ist es wohl "nur" ein viraler Infekt, das Fieber lässt sich regulieren und die Schmerzen ließen bald nach. Entwarnung am Vormittag. Keine akute Situation. Statt Kuchen beim Bäcker besorgte ich dann noch Medizin in der Apotheke. Glücklicherweise geht es ihm bereits mittags schon wieder besser, sodass er aufstehen/in den Rollstuhl und ins Wohnzimmer will. Dann kommt die schönste Überraschung: Er gibt mir die Hand und sagt: "Alles Gute zum Geburtstag! Schön, dass du bei uns bist!" und Mama meint: "Das sind seine Worte! Ich hab ihn nur gefragt, was er Dir sagen möchte!" Mal ehrlich: Was könnte ich mir Schöneres wünschen?!? Der letzte Eintrag ist schon ne Weile her... und es hat sich vieles verändert, auch wenn es nichts Sichtbares ist.
Inzwischen sind es 5 Jahre seit dem Unfall. Vier Jahre Pflege zu Hause. Mit Höhen und Tiefen. Ein Hoch ist definitiv die Tagespflege. Ein Tief, dass oft das Auto streikte und es gar nicht möglich war, ihn dorthin zu bringen. Ein HOCH: Unser Hund hat sich in unser aller Herz geschlichen und bringt uns Freude, Lebendigkeit und auch Entspannung. Ein Tief: Jeder Atemwegsinfekt bei Toni weckt die Sorgen, die nie allzuweit weg sind und nie wirklich tief schlafen. Ein HOCH: Tonis Ausdauer sowohl bei körperlichen als auch bei geistig fordernden Dingen (Arm/Bein-Trainer oder Solitär am PC oder Rommée mit uns) nimmt zu. Ein weiteres HOCH: Eine Fach-Pflegekraft unterstützt Mama einmal pro Woche für 6 Stunden. In dieser Zeit kann sie mal raus (Friseur- oder andere Termine wahrnehmen, einfach kurz mit dem Hund raus, etc...) Ein Tief: So langsam sinkt unsere Belastbarkeit trotzdem immer weiter unter Null. Das ist auf Dauer beängstigend. Ein Hoch: Möglicherweise durch den Kontakt mit den anderen Tagespflege-Genießenden und deren Betreuern in einer für Toni fremden Umgebung hat er mehr Kommunikationsbereitschaft. Oft spricht er nun in ganzen Sätzen (unaufgefordert). Noch ein Hoch: Immer öfter wünscht er Mama "Gesundheit" wenn sie niesen musste. Bei manchen Telefongesprächen, die er am Lautsprecher mithören kann, hatte ich den Eindruck, dass auch sein Mitgefühl wieder zurückkommt. Ein Tief: Die Erkenntnis: wir wissen uns so komplett aus unserem (Vor-Unfall-)Leben herauskatapultiert und nach langem Hadern akzeptieren wir nun, dass es auch für uns kein Zurück mehr gibt. Das klingt sicher paradox. Ist doch seit 5 Jahren nichts mehr wie vorher. Das ist ja nun keine "große Überraschung". Nein, eigentlich nicht. Doch innerlich haben wir gerade um Weihnachten herum viel zu verarbeiten gehabt. Eine andere Angehörige eines Tracheostoma-Patienten berichtete am Telefon, wie sich ihr Bekanntenkreis verändert/verkleinert hat, weil es manche vielleicht einfach nicht mehr hören können. Das ist einfach DER Punkt, der es so schwer macht, das "alte Leben" weiterzuführen: Das Tracheostoma, die Trachealkanüle oder eben der Platzhalter! Die ständige Angst und (bei der Pflege zu Hause) die Verantwortung dafür, dass der Patient weiteratmen kann... weil sonst... Alles andere wird mit der Zeit "normal", man kann lernen damit umzugehen. Aber wie gesagt, auch die Dame, die sich mit meiner Mutter ausgetauscht hat, weil sie vom Bundesverband der Schädel-und-Hirn-Patienten in Not e.V. an Mama verwiesen wurde, hat vor allem damit zu kämpfen. Das Trachestoma katapultiert uns Angehörige ins Off. Die ständige Alarmbereitschaft zehrt an den Kräften. Obwohl es uns in "unserer Welt" rund um Toni soweit gut geht, kommt eben bei mir persönlich noch die Arbeitsanforderung hinzu. Ein Spagat zwischen Arbeit und Pflege, den ich demnächst hoffentlich etwas entkrampfen kann. Wenn alles klappt, kann ich bei der Arbeit reduzieren, Mama bei der Pflege mehr unterstützen und etwas Luft für mich selbst haben. Trotzdem schmerzt gerade zu Familien-Festen wie z.B. Weihnachten oder Geburtstagen das Bewusstsein, wie sehr auch wir verändert wurden. Dabei geht es nicht darum, uns halt mal zusammenzureißen und einfach mal gesellig sein zu WOLLEN. Es ist schlicht eine Frage der Energie. Und sämtliche Energie brauchen wir inzwischen, um den Alltag zu bewältigen. Vielleicht haben wir zu lange funktioniert. Wir haben erst jetzt verstanden, dass unsere Erwartung an uns selbst völlig unerfüllbar ist. Ich dachte immer, mir ist es möglich, wieder "normal" zu werden - im Sinne von: ganz einfach wieder als Tante oder Freundin am Leben anderer teilnehmen zu können, ohne dabei ständig Trauer und Verlust zu spüren, die ich nicht verarbeiten kann, weil dafür keine Energie bleibt. Um so wichtiger, sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen auszutauschen. Damit sich Angehörige nicht im Off isoliert fühlen, sondern wissen: sie sind nicht allein! |
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |