Es ist mal wieder Mai - und weitere Veränderungen bahnen sich an! Wie im März berichtet, liegen fast 2 Monate mit der Nachtwache (4 von 7 Nächten/Woche) hinter uns. Schön ist, dass Toni morgens oft Mama begrüßt: "Guten Morgen, Elfriede!" - Ganz von sich aus! Unsere "Angehörigen-WG" läuft gut! Der Hund freut sich, dass abends hin und wieder auch Mama mitlaufen kann. Sie schläft gut hier bei uns - allein das Wissen, nicht hinhören und aufstehen zu müssen wirkt erholsam. Außerdem sind allein die Treppen ein Mehr an täglicher Bewegung! Umso heftiger sind die drei Nächte pro Woche, in denen an Erholung nicht zu denken ist. Eigentlich kommt mir das erst jetzt so richtig ins Bewusstsein: im Prinzip ist es für Mama eine ständige Doppel- und Dreifach-Schicht! Nach dem Tag (mit Pflege und Haushalt und Selbsthilfegruppen-Dingen) folgt eine Nachtschicht mit mehrmaligem Lagern, ggfs auch Bett frisch beziehen. Und darauf folgt dann eine weitere Tagesschicht: noch mehr Wäsche zu waschen, Morgentoilette unterstützen, Frühstück machen, Geh-Übungen, Unterhaltung (Spiele/Musik/Fernsehen) anbieten ... pausenlos! Es war echt an der Zeit, dass sich was tut! Da sich die Nachtwache mit den Pflegepersonen des Intensiv-Pflegedienstes so gut gestaltet - und Mama diese Dreifach- oder Fünffach-Schichten (am Wochenende) sehr auslaugen, ist nun als nächster Schritt die Ausweitung der Nachtwache vorgesehen. Das startet ab dem 1. Juni 2020! Jede Nacht darf Mama erholsam und beruhigt schlafen, weil Toni gut versorgt und gelagert wird. Wir haben bereits lange gewartet - und ja, das ist nicht das Ziel, das wir final erreichen wollen - ABER es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin! Schließlich kann es durchaus sein, dass die Realisierung des Projektes "Alle unter einem Dach" (Pflege-WG, Begegnungsstätte und darüber kleine Wohnbereiche für Angehörige) noch einiges an Kraft und Energie fordern wird. Wie das ohne vorherige Entlastung funktionieren würde, ist mir ein Rätsel! Außerdem ist es vorteilhaft, das Pflege-Team im Kleinen zu starten und nach und nach weiter auszubauen! Möglich ist künftig eventuell auch, dass Toni hin und wieder tagsüber stundenweise betreut wird. Möglich ist in einem weiteren Schritt eventuell auch, noch eine weitere Person (Schwerst-Schädel-Hirn-Verletzte/r) zusammen mit Toni in der gut ausgestattenen Wohnung zu betreuen. Das wäre dann der Beginn der angestrebten Pflege-WG - nur eben im Mini-Format! :-) Auch wenn wir also noch immer geduldig darauf warten, unser Ziel "unter einem Dach" weiter voranbringen zu können, sind wir (damit meine ich vor allem Mama) jetzt aktiv! Vorsorglich wird um- und ausgeräumt, Lieblingsstücke werden eingelagert, es wird Platz gemacht, Raum für Therapie-Geräte geschaffen... Und wie geht es Toni dabei? Er kriegt natürlich mit, wie Mama werkelt, räumelt und in Kartons packt. Gestern hat er bemängelt, dass die Beschriftung auf einer der Schachteln nicht völlig korrekt war ;-) Toni nimmt daran Anteil, auf Anfrage und Erklärungen reagiert er mit Zustimmung. Findet er "gut", die Pflegekräfte sind alle "umgänglich". Bei uns wächst die Hoffnung, dass wir auch mal wieder Kraft für einen Ausflug haben könnten. Vielleicht. Ich finde es vor allem gut, dass sich etwas verändert! Wir sind auf dem Weg!
0 Kommentare
Wie geht es Toni?
Wenn er gefragt wird, wie es ihm geht, antwortet er meist: " GUT". In manchen Situationen ist er sich bewusst, dass ich rund um die Uhr in seiner Nähe bin und ihn versorge. Eine kurze Begebenheit bestätigt dies. Am Sonntag, 24.11. während ich Toni duschte, meinte ich: " Jetzt bin ich schon 7 Jahre tagein, tagaus für dich da und wo bleibe ich?" Zu meiner Überraschung antwortete Toni: "Im Haus". "Warum?", wollte ich wissen. " Weil's guad isch" ("Weil es gut ist"), sagte Toni. Ich fragte: "Für wen?" Toni: "Fir mi!" ("Für mich!"). Wie recht er doch hat! Denn er ist in jedem noch so kleinen und für uns selbstverständlichem Bereich der Körperpflege, der Nahrungsaufnahme, des körperlichen und geistigen Wohlbefindens auf Hilfe angewiesen. Apropos "geistiges Wohlbefinden": Toni ist gedanklich meistens beim Arbeiten. Mal müssen EDV-Leitungen verlegt oder die Alarmanlage programmiert werden. Und ein anderes Mal sind Glasbruchmelder defekt, müssen Riegel-Schaltkontakte ausgetauscht werden oder die Alarmanlage lässt sich nicht mehr scharf schalten. Solche Informationen bekommen wir, wenn wir ihn fragen, wo er sich gerade in Gedanken befindet. Es kommt aber auch vor, dass er nachts unbedingt aufstehen will, um eine Störung zu beheben. Bei all diesen verschiedenen gedanklichen Beschäftigungen kommt mir (und auch Toni) zugute, dass ich mit ihm darüber sprechen kann, weil wir uns in unserem früheren Leben abends über unseren Arbeitstag ausgetauscht haben. Manchmal befindet er sich auch in Herbertingen; dort ist er aufgewachsen und zur Schule gegangen und war Mitglied im Ausschuss der Jahrgänger. Auch in diesen Momenten profitieren wir beide davon, dass ich aus seinen früheren Erzählungen mit ihm sprechen und gezielt nachfragen kann. Ich bin froh und dankbar über die bestehende, verständnisvolle und mitfühlende Verbindung - besonders zu den Ausschussmitgliedern. In den vergangenen Jahren hat sich Toni - was die Beweglichkeit betrifft - wieder viel erarbeitet, und er ist nach wie motiviert beim Trainieren. Dieser Fortschritt hat allerdings zur Folge, dass er nicht ohne Aufsicht sein darf. Denn auch wenn er "nur" in Gedanken arbeitet, muss er z. B. aufstehen, zur Tür hinaus oder an den PC. Es genügen ihm oft schon wenige Minuten, um uns manchmal mit unliebsamen Geschehnissen zu überraschen. Eine große Freude bereitet es uns, wenn er richtig wach und bei uns ist. Dann spielen wir zusammen "Mensch ärgere dich nicht", Kniffel oder Romme.
Es ist sehr still geworden um uns.
Wir haben in den letzten Monaten immer weniger Außenkontakte gepflegt; genauer gesagt, bis auf Weiteres die Kontakte unterbunden/verhindert/ nicht erlaubt/…. Unsere restlichen, geringen Energiereserven brauchen wir dringend, um den langen und sehr schwierigen Weg bis zur Verwirklichung einer Pflege-Wohngemeinschaft durchzustehen! Dabei dachten wir vor 2 Jahren in erster Linie an eine WG für die betroffenen Menschen, von denen Angehörige bei den Selbsthilfetreffen berichteten. In den Pflegeheimen seien z. B. die Tochter, der Bruder, der Partner oder ein Elternteil mehr schlecht als recht untergebracht und ihrem Schicksal ausgeliefert, haben keinen Lebensmut mehr. Dadurch leidet auch die Lebensqualität der Angehörigen erheblich. Anfang dieses Jahres aber bin ich (allein in meiner Wohnung) ohnmächtig geworden und kam nach ?... einer geraumen Zeit erst wieder zu mir. Gruselig war das! Das hat definitiv nachgewirkt. Natürlich denkt man da weiter... Seither jedenfalls sehen Mama und ich unsere Zukunft gemeinsam unter einem Dach. Wir stellen uns ein Mehrfamilienhaus vor, in dem Toni im EG in der Pflege-Wohngemeinschaft lebt und Mama und ich in je einer kleinen Wohnung darüber. Nach einigen Höhen und bisher vielen Tiefen auf diesem WG-Planungs-Weg, den wir seit 2 Jahren gehen, sehen wir im Moment einen kleinen, hellen Lichtschein am Ende des Tunnels! Vielleicht ist dies jetzt Gottes Vorsehung, die wir endlich begriffen haben?! Schön wäre das, richtig schön! Angenommen es geht jetzt immer weiter Richtung Licht und Hoffnung durch den Tunnel hindurch; angenommen dieser stets konkreter werdende Plan und die Vorstellung einer (für uns drei und noch weitere ähnlich betroffene Personen) entlastendere Lebenssituation wird zur Realität - na, dann werden wir auch mal wieder in der Lage sein, die ruhenden Kontakte aufzunehmen und zu pflegen! BDD! (=Bitte Daumen drücken!) In letzter Zeit ist vieles, was Toni macht, großartig, neu, nie dagewesen - immer wieder verblüfft er uns sehr!
Vor kurzem komme ich aus der Küche ins Wohnzimmer, weil ich ihn husten hörte. Da fragt er nach einem Schlucken: "Wann kann ich dann die Schupfnudeln essen?" Er hatte ja recht, die waren in der Pfanne. Wir hatten das Mittagessen gar nicht mit ihm besprochen... Offenbar bekommt er durch offene Zimmertüren doch so manches mehr mit, als wir dachten. Für mich kam das aus völlig heiterem Himmel. Ich hatte mit seinem inzwischen üblichen "verschluckt" gerechnet. Stattdessen aßen wir kurz darauf zu dritt Kassler, Schupfnudeln und Sauerkraut! Außerdem hat er sich jetzt angewöhnt, manche an ihn gerichtete Frage auch anders zu bestätigen als nur mit "Ja!" Neulich am Telefon war es "Ja", "Das ist richtig!", "Stimmt!" und "Genau!" Einfach so! Von sich aus! Ohne dass sich jemand beschwert hätte im Sinne von "Kannst du auch etwas anderes als nur immer ja sagen?!?" Außerdem macht er mit dem Erreichen seines Zieles "Gehen" echt Fortschritte!! Immer mal wieder kann er für Sekunden ungestützt frei stehen! Ich mag das gar nicht so richtig loben und erwähnen, aus Furcht, es folgt darauf ein Rückschlag. Aber trotzdem bemerke ich es hier, bin sehr froh darüber und gespannt, was als Nächstes noch kommen wird! Das ist es im Grunde immer: Ganz schön spannend! Einfach mal "Danke"sagen. Dazu war am 6 Jahrestags des Unfalls ein geeigneter Zeitpunkt, fand ich. Natürlich ist das ein erinnerungsbehaftetes Datum, aber das sollte doch nicht davon abhalten, Kuchen zu essen und zu feiern, was man hat, oder? Also stellvertretend für Toni DANKE an Mama, für alles. Vielen Dank auch an die Therapeuten, die Ärztin, die Apotheke und die Helfenden Hände. Vor allem auch Danke an Toni, dafür, dass er sich in den vergangenen 6 Jahren so zurückgekämpft hat! Über Patientenverfügungen oder Vorsorgevollmachten denke ich nicht gerne nach. Bei uns in Balingen gibt es jetzt die Rotkreuzdosen. Die kann man in den Kühlschrank stellen (weil den jeder in jeder Wohnung findet) und dort drin vermerken, welche Vorerkrankungen bestehen und wo sich Patientenverfügung und/oder Vorsorgevollmachten finden lassen. Eine gute Sache! Mama hat die Dosen diese Woche geholt und bestückt. Somit ist für die Sanitäter im Notfall alles klar.
Am liebsten wäre mir auch früher gewesen, meine Eltern hätten da nicht drüber geredet. Aber das taten sie. Am Ende saßen wir alle beim Notar und unterschrieben die gegenseitige Vorsorgevollmacht. Das ist inzwischen 20 Jahre her und nachdem das mal vorbei war, habe ich auch das Unwohlsein wieder abgelegt, denn schließlich lebten wir alle völlig unbehelligt weiter. Im Nachhinein muss ich sagen: war nicht so schlimm. Ein wenig so wie eine Schutz-Impfung: kleiner Pieks, merkt man noch ein paar Tage und dann ist es gut. Ich hoffte immer, dass es niemals so weit kommen wird und weder ich noch die Menschen um mich herum leiden müssten. Aber hoffen wir das nicht alle? Toni hat vorgesorgt, hatte eine Unfallversicherung abgeschlossen, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Organspende-Ausweis ausgefüllt. Das hat es für Mama leichter gemacht. Doch: ganz sicher hat auch er immer gehofft, dass es niemals zu einem Unfall kommen würde! Ich werde mal genau nachschauen, wo ich meine Patientenverfügung eigentlich habe, sie ggfs überarbeiten und dann vielleicht auch so eine Rotkreuzdose anschaffen. Nur für alle Fälle... Nicht die Nachtigall und auch nicht die Lerche Der Sommer ist da!
Das bedeutet langes Sitzen auf der Terasse. Immer mal wieder zieht Grillgeruch um die Hausecken und Kinderlachen erklingt. Im Garten sind Hummeln, Bienen, Schmetterlinge und Taubenschwänzchen eifrig beim essen. Amseln, Meisen, Spatzen und der ein oder andere Fink bedienen sich ebenfalls, manchmal geräuschvoll streitend. Toni mag nach eigener Aussage aber daran eher, dass er den Verkehr der nahen Hauptstraße hören kann. Alles andere ignoriert er oft. Neulich winkte er seine Frau zu sich und begann eine lange Fragerunde, als müsse er sich orientieren: "Wer wohnt da oben?" "Und da drüben?" "Daneben?" "Wer wohnt dort?" Geduldig beantwortete Mama seine Fragen. Er erinnert sich noch an die Nachbarschaft von früher/vor dem Unfall, dem anderen Wohnort. Die jetzigen Nachbarn kennt er gar nicht. Bisher hat er sich aber auch nie dafür interessiert. Als alles für ihn zufriedenstellend geklärt war, nach einer kurzen Pause, stellte er eine letzte, überraschende und erheiternde Frage: "Welchr Vogl pfaifed do?" (Welcher Vogel pfeift da?) Der Vollständigkeit halber: Es war die Amsel! Toni hustet produktiv.
Mama fragt: "Und? Hat sich was gelöst?" Toni: "Ja! Die unteren Zähne." Manchmal haut Toni abends noch einen Brüller raus. Zwei Beispiele möchte ich hier kurz festhalten:
Am Abend gibt es immer die gleichen Rituale, bevor Toni ins Bett gebracht wird. Die Lagerungskissen werden im Wohnzimmer gelassen, die Decken um Schulter und Beine ebenfalls. Die Nahrung muss durchgelaufen sein, der PEG-Schlauch nachgespült. Die Leitung wird ab-gestöpselt und seine Brille setzt er ab und sie bleibt im Wohnzimmer auf dem Tisch liegen. Danach geht es ins Bad für die Abendhygiene: Platzhalter sauber machen, Zähne putzen, Schlaf-Klamotten anziehen... Neulich abends nahm er die Brille ab, arbeitete bei allem gut mit (Ellbogen hoch, Beine vor, Beine zurück etc.). Alles war fertig und Mama wollte ihn ins Bad fahren, da greift er völlig unerwartet nach seiner Brille und setzt sie sich auf. Darauf angesprochen meinte er ganz trocken: „I will gucka wo's na goht!“ (Ich will sehen, wo es hin geht) Und ein anderes Mal saß er vor dem Fernseher, schlief aber bereits seit Minuten deutlich erkennbar. Auf die Frage, ob er denn nicht müde sei und so langsam mal ins Bett möchte, antwortete er: „Nein!“ „Warum nicht, du bist doch ganz müde!“ „No ka i nimme doh schlofa!“ (Dann kann ich nicht mehr hier schlafen) Diese Woche hatte ich Geburtstag.
Normalerweise macht man sich da Gedanken, wie man sich den Tag zu etwas Besonderem machen kann. Ob und wie und was ich für Kuchen besorge oder am Abend etwas vom Chinesen holen soll - das war meine größte "Sorge". Dann komme ich morgens bei Mama & Toni an, stehe vor verschlossenen Türen ... da stimmt was nicht! Also rufe ich sie auf dem Handy an, damit sie mich reinlässt. Ich treffe Mama völlig durcheinander an und reime mir aus den Satzfetzen folgendes zusammen: Sie hat die Nacht an Tonis Bett stehend verbracht. Er hat nachts schlagartig Fieber und Schüttelfrost bekommen. Jetzt klagt er über starke Kopfschmerzen. Sie hat sich erst gegen Morgen kurz hingelegt und dann verschlafen. Mir fährt es in den Magen. Nach etwa 10 Minuten ist Mama auf normalem Gesprächsmodus und kommt, um mich zu umarmen. "39!" sagt sie. Und ich antworte "Nö, 38!" und denke: echt nicht viel Schlaf, wenn du mich ein Jahr älter machst. "Toni hat 39 Fieber!" - "Oh!" An Tonis Bett gehen uns gleichzeitig dieselben Dinge durch den Kopf. Sein Kopfschmerz ist sehr stark. Nur auf der rechten Seite. Dort liegt der Shunt. Ist damit was nicht in Ordnung? Ich denke: Wie organisieren wir das alles, falls wir in die Klinik müssen? In 5 Minuten muss ich auf der Arbeit sein. Dann fällt mir ein, dass der Neurologe uns erklärt hat, woran wir merken, wenn mit dem Shunt was nicht stimmt. Da Toni sich aber klar äußern kann und spricht, beruhige ich mich dahingehend, dass alles nicht sofort und so schnell gehen wird. Erstmal abwarten, ob die Medikamente Besserung bringen. Nichtsdestotrotz ist mein Körper voll von ALARM-Signalen. Alles komplett durcheinander! Doch mir bleibt nur, mich auf den Weg zur Arbeit zu machen und in einer oder zwei Stunden mal nachzufragen, wie es aussieht, ob sie von der Hausärztin etwas gehört hat. Letztendlich ist es wohl "nur" ein viraler Infekt, das Fieber lässt sich regulieren und die Schmerzen ließen bald nach. Entwarnung am Vormittag. Keine akute Situation. Statt Kuchen beim Bäcker besorgte ich dann noch Medizin in der Apotheke. Glücklicherweise geht es ihm bereits mittags schon wieder besser, sodass er aufstehen/in den Rollstuhl und ins Wohnzimmer will. Dann kommt die schönste Überraschung: Er gibt mir die Hand und sagt: "Alles Gute zum Geburtstag! Schön, dass du bei uns bist!" und Mama meint: "Das sind seine Worte! Ich hab ihn nur gefragt, was er Dir sagen möchte!" Mal ehrlich: Was könnte ich mir Schöneres wünschen?!? Der letzte Eintrag ist schon ne Weile her... und es hat sich vieles verändert, auch wenn es nichts Sichtbares ist.
Inzwischen sind es 5 Jahre seit dem Unfall. Vier Jahre Pflege zu Hause. Mit Höhen und Tiefen. Ein Hoch ist definitiv die Tagespflege. Ein Tief, dass oft das Auto streikte und es gar nicht möglich war, ihn dorthin zu bringen. Ein HOCH: Unser Hund hat sich in unser aller Herz geschlichen und bringt uns Freude, Lebendigkeit und auch Entspannung. Ein Tief: Jeder Atemwegsinfekt bei Toni weckt die Sorgen, die nie allzuweit weg sind und nie wirklich tief schlafen. Ein HOCH: Tonis Ausdauer sowohl bei körperlichen als auch bei geistig fordernden Dingen (Arm/Bein-Trainer oder Solitär am PC oder Rommée mit uns) nimmt zu. Ein weiteres HOCH: Eine Fach-Pflegekraft unterstützt Mama einmal pro Woche für 6 Stunden. In dieser Zeit kann sie mal raus (Friseur- oder andere Termine wahrnehmen, einfach kurz mit dem Hund raus, etc...) Ein Tief: So langsam sinkt unsere Belastbarkeit trotzdem immer weiter unter Null. Das ist auf Dauer beängstigend. Ein Hoch: Möglicherweise durch den Kontakt mit den anderen Tagespflege-Genießenden und deren Betreuern in einer für Toni fremden Umgebung hat er mehr Kommunikationsbereitschaft. Oft spricht er nun in ganzen Sätzen (unaufgefordert). Noch ein Hoch: Immer öfter wünscht er Mama "Gesundheit" wenn sie niesen musste. Bei manchen Telefongesprächen, die er am Lautsprecher mithören kann, hatte ich den Eindruck, dass auch sein Mitgefühl wieder zurückkommt. Ein Tief: Die Erkenntnis: wir wissen uns so komplett aus unserem (Vor-Unfall-)Leben herauskatapultiert und nach langem Hadern akzeptieren wir nun, dass es auch für uns kein Zurück mehr gibt. Das klingt sicher paradox. Ist doch seit 5 Jahren nichts mehr wie vorher. Das ist ja nun keine "große Überraschung". Nein, eigentlich nicht. Doch innerlich haben wir gerade um Weihnachten herum viel zu verarbeiten gehabt. Eine andere Angehörige eines Tracheostoma-Patienten berichtete am Telefon, wie sich ihr Bekanntenkreis verändert/verkleinert hat, weil es manche vielleicht einfach nicht mehr hören können. Das ist einfach DER Punkt, der es so schwer macht, das "alte Leben" weiterzuführen: Das Tracheostoma, die Trachealkanüle oder eben der Platzhalter! Die ständige Angst und (bei der Pflege zu Hause) die Verantwortung dafür, dass der Patient weiteratmen kann... weil sonst... Alles andere wird mit der Zeit "normal", man kann lernen damit umzugehen. Aber wie gesagt, auch die Dame, die sich mit meiner Mutter ausgetauscht hat, weil sie vom Bundesverband der Schädel-und-Hirn-Patienten in Not e.V. an Mama verwiesen wurde, hat vor allem damit zu kämpfen. Das Trachestoma katapultiert uns Angehörige ins Off. Die ständige Alarmbereitschaft zehrt an den Kräften. Obwohl es uns in "unserer Welt" rund um Toni soweit gut geht, kommt eben bei mir persönlich noch die Arbeitsanforderung hinzu. Ein Spagat zwischen Arbeit und Pflege, den ich demnächst hoffentlich etwas entkrampfen kann. Wenn alles klappt, kann ich bei der Arbeit reduzieren, Mama bei der Pflege mehr unterstützen und etwas Luft für mich selbst haben. Trotzdem schmerzt gerade zu Familien-Festen wie z.B. Weihnachten oder Geburtstagen das Bewusstsein, wie sehr auch wir verändert wurden. Dabei geht es nicht darum, uns halt mal zusammenzureißen und einfach mal gesellig sein zu WOLLEN. Es ist schlicht eine Frage der Energie. Und sämtliche Energie brauchen wir inzwischen, um den Alltag zu bewältigen. Vielleicht haben wir zu lange funktioniert. Wir haben erst jetzt verstanden, dass unsere Erwartung an uns selbst völlig unerfüllbar ist. Ich dachte immer, mir ist es möglich, wieder "normal" zu werden - im Sinne von: ganz einfach wieder als Tante oder Freundin am Leben anderer teilnehmen zu können, ohne dabei ständig Trauer und Verlust zu spüren, die ich nicht verarbeiten kann, weil dafür keine Energie bleibt. Um so wichtiger, sich mit anderen Betroffenen und Angehörigen auszutauschen. Damit sich Angehörige nicht im Off isoliert fühlen, sondern wissen: sie sind nicht allein! Ich habe hier einige Bilder zusammengestellt, die zeigen, wie sich der Garten entwickelt hat. Vielleicht wird dann nachvollziehbar, wie schön es ist, hier auf der Terrasse zu sitzen und im Garten Bienen, Schmetterlinge, Amseln, Meisen und Spatzen zu beobachten.
2017
So, nach einigen freien Tagen habe ich jetzt das Gefühl, genug im eigenen Saft geschmort zu haben... Wie berichtet ging es ja gesundheitlich nicht so gut. Vielleicht ist das aber auch alles eine Sache der Definition? So richtig "gesund" ist Toni noch nicht. Ab und zu gibt es auch jetzt noch Fieber-Nächte. Und ja, nachdem es beim Ausbruch dieser Erkältung von Toni auch Mama erwischt hat, machte ich mir Sorgen und Gedanken. Mehr als sonst, weil ich eben frei habe und nachdenken kann. So richtig Spaß machte das aber nicht. Selbstverständlich wünsche ich mir für meine Mutter, dass sie ein "schönes Alter" also ein schönes "reifes Lebensdrittel" hat. Doch was ich mir vielleicht darunter vorstelle, entspricht nicht unbedingt ihren eigenen Vorstellungen. Dass sie mehr Zeit für sich hat, beispielsweise oder dass sie besser schlafen kann. Natürlich kommt so eine Erkältung (oder Bronchitis oder was auch immer das war/ist) unvorhergesehen und ist anstrengend und sehr fordernd. Aber nachdem wir gestern gesprochen haben, verstehe ich, dass es für meine Mutter einfach dazugehört. So wie man sich vor einer Urlaubsreise auf verschiedene Möglichkeiten einstellt (z.B. eventuell im Stau zu stehen oder den einen oder anderen Mücken- oder Sonnenstich zu bekommen), so hat sie sich bei ihrer Entscheidung dafür, Toni zu Hause zu pflegen und allein zu versorgen, auch auf verschiedene, mögliche Situationen eingestellt. Für mich war diese Erkältungsphase in etwa wie: vom Regen schon ganz durchweicht zu sein und dann plötzlich Hagel mit Körnern in der Größe von Hühnereiern zu erleben. Für Mama war es ein heftiger Regenschauer nach einem wolkenverhangenen Tag. Sicher, sie wurde auch "nass", aber diese Ohnmacht, die man bei Hagel spürt, hatte sie nicht. Das sind zwei unterschiedliche innere Zustände. Mama war klar, dass es lange dauert, bis sie alles wieder trocken hat. Wohingegen ich geschockt erwartete, das Ausmaß des Schadens zu erfassen. Was lernen wir daraus? Ich kann/sollte noch eine ganze Ecke gelassener werden. Ja, aber abgesehen davon ist es einfach eine Sache der Einstellung oder eben Ansichtssache. Für Mama ist das ihr Weg, den sie keinesfalls im Glauben geht, sich zu opfern. Es war ihre Entscheidung und so will sie es tun. Also ist es meine Aufgabe, das so stehenzulassen. Ihr zuzugestehen, dass sie selbst für sich Verantwortung trägt und meine Vorstellung von "ihrem Glück" Unsinn ist. Auf sich selbst zu achten und fürsorglich zu sich zu sein, auch wenn das möglicherweise heißt, Dinge nicht zu tun, weil sie in dem Moment nicht gut tun... das ist immer ihr Rat. Als ich am Wochenende die Wohnung betrat, hörte ich Mama genervt vor sich hinschimpfen. Nicht ohne Grund aber mit erstaunlicher Wirkung! „Toni! Was soll denn das? Lass das jetzt!“ Nach der ersten Sorge (um Mama) hörte ich eine kurze Weile zu und ging dann zu den beiden.
Schließlich musste ich lachen: der Ärger gab ihr ganz offensichtlich die nötige Kraft und Energie, um Toni nach zwei Tagen Bettruhe mal wieder in den Rollstuhl zu befördern (auf die „alte“ Weise) mit Liftertuch und Deckenlifter und so wie es eben gemacht werden muss, wenn er keine Kraft hat, um aktiv mitzuhelfen. Das war so ein Tag, an dem gar nichts rund lief. Mama stolperte fast, der Sprudler fiel zweimal runter, der Fernseher funktionierte plötzlich nicht mehr (tags drauf war da zuminedest alles einfach wieder normal) und noch mehr solche Dinge, die nicht dramatisch waren (zum Glück), sich aber derart häuften, dass schließlich fast hysterisches Lachen als einzige Option übrig blieb. Nur als Beispiel: Wir sind ja gerade alle ziemlich angeschlagen (erkältungstechnisch) und Mama meinte, ich solle doch einfach auch inhalieren, das Gerät mit allem Zubehör stand ja direkt betriebsbereit neben mir. Ich nahm den Schlauch, schaltete es ein und hielt mir das Ende einfach vor die Nase. Mama (nach einer halben Minute): „Ha Karin, du musst ja schon den Vernebler anstecken!“ Den hatte ich völlig vergessen! Und hätte es wohl auch nach 5 Minuten nicht gemerkt... ups, peinlich! Toni schwitzt und kämpft mit einem Atemwegsinfekt.
Im Gegensatz zum letzten Mal, als er Fieber hatte, können wir dieses Mal ziemlich genau sagen, dass er wohl draußen einen Zug abbekommen hat, auf den er nun unterkühlt/verschnupft reagiert. Naja, mal ohne Flaps - er hatte zuerst eine heisere Stimme und fieberte dann am Abend auf. Anders als beim letzten Mal konnte er in den ersten Fieber-Tagen produktiv abhusten. Dann nicht mehr. Und das Fieber blieb. Mit Antibiotika ist er jetzt fieberfrei. Allerdings ist seine Sauerstoffsättigung so schlecht, dass heute auf die Schnelle dringendst ein Sauerstoffgerät beschafft werden musste. Zuletzt benötigte er vor drei Jahren Sauerstoff?!? Das geht nun schon mehrere Tage so, die Nächte sind definitiv kein leichtes Spiel und bieten kaum Erholung. Er ist durch das Fieber nun sehr geschwächt, hat kaum Kraft zum Husten. Er braucht viel mehr Sauerstoff als bei früheren Infekten, damit die Sättigung besser ist - gut ist aber auch anders. Irgendwie muss ich das alles wohl unterschätzt haben. Heute wurde mir klar, dass ihn das total zurückwirft. Allein schon kräftemäßig! Bis er wieder auf dem Stand von vor 8 Tagen sein wird, werden sicher Wochen vergehen! Das fordert also viel Einsatz und Geduld und enorm viel Kraft (auch weil die Pflege ja aufgrund seiner Schwäche wieder schwerer für Mama werden wird). Irgendwie hangeln wir uns von "Wenn nur... dann wird es besser..." zum nächsten "Wenn... dann...". Es kommen freie Tage, dringend benötigt, aber ich habe nicht die Erwartung, dass uns das zu neuer, frischer Kraft verhilft. Sicher, ich bin einfach erschöpft und müde. Ich frage mich, wie es dann erst meiner Mutter wirklich geht. Und ehrlich gesagt: da ist nicht mal mehr Kraft fürs "Sorgen machen"! Das ist wirklich eine neue Dimension des gefühlten jahrelangen Ausnahmezustands. Ich wünsche mir so dringend: Einfach eine Kraft-Dusche nehmen zu können und dabei bis obenhin voll aufgeladen werden mit Energie. Mit so viel Energie, dass es für die nächsten Jahre reicht. Dabei bin ich mir bewusst, dass es viele Familien gibt, in denen Pflege, Ausnahmezustände und Energie-Mängel ähnlich "wüten". Für alle, die das brauchen (noch viel dringender als ich, die ich abends zu mir nach Hause gehe und nicht jeden Husten-Versuch in der Nacht höre) versuche ich positiv zu denken und wünsche wenigstens erholsamen Schlaf, so kurz er auch ausfallen mag. Und wer weiß, vielleicht stehen irgendwann bald - vielleicht schon morgen - die Sterne etwas günstiger, sodass die kosmische Strahlung sich positiv auswirkt oder möglicherweise hilft mein Wunsch dabei, eine Gruppe der himmlischen Heerscharen herbeizusehnen, die lindernd beistehen oder in einem Mega Engel-Flashmob uns allen Kraft geben. Oder jeder von uns findet in sich die Quelle purer Lebenskraft, die uns hilft ALLES zu bewältigen, was sich uns bieten mag. Ja, das klingt doch wie ein Plan! Neulich habe ich geträumt.
Aus einem schmalen roten Büchlein wurde beim Aufschlagen ein Fotoalbum. Darin lauter Bilder von Familienfeiern im früheren Zuhause. Die Zimmer sahen zwar ganz anders aus, aber es war trotzdem das Zuhause. Auch die Feste selbst haben so nicht stattgefunden. Mich überkommt noch immer Gänsehaut und auch eine Art Traurigkeit, weil es nicht möglich war, wirklich mitzufeiern. Ich hab das Bild betrachtet Die Küche eine Mischung aus dem Raum des früheren Zuhauses und der Stube meiner Großeltern mütterlicherseits. Ein Christbaum in der Ecke, eine lange Tafel gedeckt und daran Menschen, so viele. Zuerst fiel mir mein Opa an der Stirnseite ins Auge, direkt neben ihm Toni. Beide überaus ausgelassen und fröhlich, auch das eher ungewöhnlich. Mich selbst sah ich auch als kleines Mädchen mit einem anderen Kind plaudern. und bevor ich noch etwas oder jemand anderes wahrnehmen konnte, war es schon vorbei. Etwas verwirrt dachte ich darüber nach, ob es das Fest denn gegeben haben kann. Ich kann mich noch gut an den Weihnachtsbaum meiner Großeltern erinnern. Da sind wir früher als Kinder an einem der Weihnachtsfeiertage zusammengekommen mit der Familie. Ich kann mich an die Anis-Plätzchen von Oma erinnern und dass es im „Spielzimmer“ nebenan immer sehr kalt war. Aber haben wir da mal gegessen? Gab es da was anderes als Kaffee? War es dunkel und wann sind wir dann nach Hause gefahren? Wie Opa oder Oma das Feuer schüren seh` ich noch vor mir. Genauso wie die weißen Tassen mit den grünen Punkten. Meine Mutter hatte früher an Weihnachten immer eine Krippe mit faszinierend detailreich geschnitzten Holzfiguren im Esszimmer aufgebaut. Den Raum mochte ich im Winter sehr. Offen zur Küche, mit Teppichboden und der eigentlich viel zu dunklen und rustikalen Holzvertäfelung wirkte er sehr warm auf mich. Da saßen Mama und ich am Abend des 24. Dezember 2012 bei Kerzenschein. Ohne Krippe. Die Füße hochgelegt. Haben wir was gegessen? Nebensächlich. Wir waren bei Toni in der Klinik gewesen (oder sind am nächsten Tag gemeinsam mit dem Auto hingefahren) oder beides … Ich könnte es nachlesen, aber ich möchte mich im Moment lieber nur so ein klein wenig daran erinnern. Ziemlich sicher waren die Laptops an und wir spielten jede für sich Solitär oder so. Zumindest erinnere ich mich so. Rätselhefte haben wir auch gehabt. Das war unglaublich wichtig. Sudokus, Rätsel, einfache PC-Kartenspiele – das Gehirn beschäftigen, etwas tun, sich ganz auf eine kleine Aufgabe konzentrieren. Den Sorgen und Gedanken nicht zu viel Raum geben. Und wie wird es dieses Jahr? 2016
Nachdem wir alle drei gerade mit den Auswirkungen einer Erkältung - in Toni's Fall einer Bronchitis - zu kämpfen haben, ist der allgemeine Zustand treffend mit kraft- und saftlos zu bezeichnen. Irgendwie reicht's. Sowohl meiner Mutter als auch mir. Deshalb kann ich auch nicht so tun, als wäre alles leicht und einfach. Klar, es könnte schlimmer sein und es gibt vieles, für das wir dankbar sind. Doch irgendwie muss auch mal raus, dass es wirklich anstrengend ist. Kräftezehrend und dass wir schwer damit klar kommen, zu akzeptieren, dass es nun - zumindest geistig - nur noch um "Standerhaltung" geht. Nichts was wir tun können, kann daran etwas ändern. Es wäre schön, wenn wir die Stecker neu verkabeln und ihn einfach rebooten könnten. Stattdessen müssen wir zusehen, wie er immer weiter versinkt. Ist das Demenz? Oder einfach nur die "normale" sprich zu erwartende Schädigung seiner geistigen Fähigkeiten aufgrund des Schädel-Hirn-Traumas? Wir sind jetzt schon geraume Zeit immer irgendwie in Alarm-Bereitschaft, da eine Veränderung im Verhalten oder der Persönlichkeit, die spontan auftritt, ja immer auch ein Hinweis auf eine Veränderung der (ich nenne es mal) Hirn-Situation sein könnte. Beispielsweise kann zu viel oder eben zu wenig Liquor abfließen, was sich dann durch eine Veränderung des Hirndrucks eben auch durch Schmerzen oder plötzliche Veränderungen seines Zustandes äußern könnte. Aber alles was wir beobachten, ist so minimal-dosiert, dass es möglicherweise wetterbedingt sein kann. Oder dass durch einen Harnwegsinfekt eine Verwirrung auftritt. Oder es ist eben einfach das schon geschädigte Gehirn, das jetzt vielleicht doch auch noch dement zu werden scheint. Toni hatte mehrere Tage Fieber und kaum eine hörbare Stimme. Die Erkältung legte sich bei ihm im und um den Kehlkopf nieder. Er halluzinierte wohl auch, denn er bat uns mitleiderregend krächzig, doch bitte die Musikanlage auszuschalten. Erst fragte er meine Mutter. Dann später mich direkt, fast flehentlich. Durch das Fieber hatte er wohl Ohrgeräusche oder Halluzinationen, jedenfalls war es ruhig. Nichts war an, kein Fernseher, kein Radio - nichts. Und er wollte so verzweifelt, dass wir endlich ausschalten, was er hörte. Was tun? Wie soll man da beruhigen? Ich finde es ja schon zu "gesunden", also an fieberfreien Tagen, schwierig, mit seinen Wünschen umzugehen. Oftmals ist entweder eine Melde- oder Alarmanlage zu reparieren, wofür er einen Schaltschlüssel oder sonst etwas braucht. Neulich zeigte er auf den Rauchmelder an der Decke und berichtete meiner Mutter, dass dieser sabotiert sei. Irgendwie ablenken. Aber auch das kostet Kraft. Die Situation, dass wirklich alle angeschlagen sind, hatten wir so noch nicht. Entweder war ich erkältet, oder ich und Toni. Meine Mutter hielt sich immer tapfer. Doch dieses Mal ist wohl einfach zu viel Unnötiges vorgefallen. Das hat nicht mal vorrangig was mit Toni und der Situation zu tun. Das Drumherum ist einfach zuviel gewesen. Nicht zuletzt der Auto-Auffahr-Unfall, den sie nicht verschuldet und glücklicherweise unverletzt überstanden hat. Aber deswegen mussten wir 3 Wochen lang auf das Auto verzichten und hatten keine Möglichkeit, mit Toni mal zum Einkaufen oder irgendwo sonst hin zu fahren. All das war einfach zu viel. Deshalb: uns reicht's jetzt. Das jetzt eher so eine Ansage ans Universum und/oder Gott: Entweder brauchen wir jetzt eine Super-Power-Batterie-Blitz-Aufladung oder eben einfach ausreichend Zeit, um von allein wieder aufzutanken, bevor wir bereit sind, für den nächsten Schlag. Wir haben vor, das Jahr jetzt so gut wie möglich zu Ende zu bringen und nur das Nötigste noch zusätzlich zum Alltag anzugehen. Ich hoffe, dass sich Mama trotz des Schlafmangels aufgrund der Pflege und der durchhusteten Toni-Nächte mit unterirdischer Sauerstoffsättigung, bald ganz erholen kann. Deshalb und einfach weil es reicht: Alles was nicht irgendwie existentiell ist, wird warten müssen. Besuche oder längere Telefonate zählen da ebenso dazu, wie der alljährliche Weihnachtstrubel. Den haben wir auch in diesem Jahr abbestellt, weil es für uns anders gar nicht geht. Ich bitte um Verständnis. Wir sind nicht zum Grinch und Co. geworden und wünschen natürlich allen eine schöne Vor- und Weihnachtszeit. Aber wir müssen einfach schauen, woher wir wieder Saft bekommen - Lebenskraft, Zuversicht, so was halt. <2016>
Zum Schreiben komme ich gerade selten. Vielleicht ist das aber auch nur eine faule Ausrede? Seit dem Unfall vor bald exakt vier Jahren gab es viele Höhen und Tiefen, aber immer eine leichte Tendenz Richtung Besserung. Möglicherweise sind wir jetzt am besten Punkt der Besserung angekommen? Das ist bei diesen minimalen Veränderungen, die sich oft über einen längeren Zeitraum hin entwickelten, gar nicht so einfach festzustellen. Und es heißt nicht, dass Toni sich muskulär nicht noch steigern kann. Ganz im Gegenteil. Inzwischen fährt er das Motomed mit großem Widerstand, was natürlich anstrengend ist, aber er gibt nicht auf, sondern macht da mit großem Willen weiter. Schwerer zu akzeptieren ist das Stagnieren der „geistigen“ Fortschritte. Ich tu mir ganz schwer damit, zu begreifen, dass er enorme Fortschritte gemacht hat und trotzdem durch das Trauma und/oder die Operationen gewisse Schäden am Gehirn geblieben sind. Vielleicht hat Toni in dieser Hinsicht einfach das Ende der Fahnenstange erreicht? Es ist bitter, weil ich trotz all der üblen Aussichten irgendwie immer gehofft hatte, er würde wieder mehr so wie früher sein können. Aber das geht wohl echt nicht. Stattdessen wird er kräftiger und setzt seinen Kopf durch. Das bedeutet, dass man inzwischen gut aufpassen, was er anstellt. Einsichtig kann er leider nicht immer sein. Ich bin ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Phasen seiner Wachheit sich nach und nach immer weiter ausdehnen werden, bis er vielleicht 4 Stunden am Stück mal so ganz da ist, am Gespräch teilnimmt oder dem Gespräch folgt. Dann eine Ruhephase und dann wieder eine längere Wach-Zeit. Das hätte ich akzeptabel gefunden. Das Leben hält sich nur nicht an die von uns geschmiedeten Pläne… da kann bestimmt jeder ein Lied darüber singen! Tja, und weil es dauert, das zu benennen, es zu verarbeiten und dann darüber zu schreiben, dauert es hin und wieder etwas länger, bis hier im Blog neue Beiträge erscheinen. <2016>
Neben all dem anderen (Pflege/Therapien/Fort- oder Rückschritte) wird mir immer wieder auch deutlich, dass Flexibilität nicht so wirklich zu 100% zu unserem Alltag gehört. Meistens dann, wenn wir einen Ausflug planen. Eltern mit Kindern so zwischen 0 und 5 Jahren kennen das wahrscheinlich: wieviel passen muss (Hunger, Toiletten-Besuchs-Planung) und wieviel Zeug eingepackt sein muss, bevor man überhaupt erstmal aus dem Haus gehen kann! Am gelassensten können wir sein, wenn wir genau wissen, was uns erwartet. Was wir tun werden, was es zu essen gibt (das Toni auch essen kann – falls er das möchte), ob dort Kopfsteinpflaster, Rasen, Schotter oder geteerte Wege sind. Inzwischen bekommt Toni ja auch fast immer alles mit. Dann plötzlich vor einem Hindernis zu stehen ist blöd – bzw. macht mir ein blödes Gefühl. Klar, keiner erwartet, dass alles immer perfekt ist. Aber ich bin gern vorbereitet, habe die wichtigsten Punkte durchdacht und es stresst mich, wenn wir vorhaben irgendwohin zu gehen und dann dort so unebenes Gelände vorfinden, dass es mit dem leichten Rolli mit dünnen Reifen fast unmöglich ist, beispielsweise einen Hügel hochzukommen. Wir hätten Toni ja einfach in den anderen Rollstuhl setzen und ebenfalls Spazierengehen können, zum Beispiel. Hätten können, wenn wir es vorher gewusst hätten. Oder letzte Woche: Da fragen wir in einem Ort nach einem Café, da Toni sich zu Wort meldete mit „Wo gibt’s nachher Kaffee und Kuchen?“ Die angesprochene Person schwärmt uns vor: „XYs ist toll – ach, aber das geht ja mit dem Rollstuhl nicht! Hmm, naja, es gibt noch MN, etwa 10 Minuten weiter, den Berg hoch.“ (und unterschwellig schwingt mit: aber XYs ist einfach viel besser) Ha, wie witzig! Da überlege ich mir doch echt, ob ich nicht lieber Toni und Rollstuhl jeweils einzeln die 5 Treppenstufen hochschleppe, bevor ich mich einen steilen Hügel 10 Minuten lang hoch und dann wieder runter (fast noch schlimmer!) quäle. Das ist unflexibel von mir und nervt mich selbst. Und doch würde ich manchmal einfach gern so frei sein wie früher. Als wir überall da reingehen konnten, wo uns die Speisekarte oder das Ambiente zusagten. Nein, das muss ich anders sagen: wo wir überall ganz elegant und ohne Umstände, Schweißausbrüche, öffentliches Gaffen einfach hineingehen und einen Platz einnehmen konnten, ohne andere Gäste zu stören. Na gut, elegant war ich wohl eher selten – zumindest jedoch unauffälliger. Ich weiß, daran kann und muss ich arbeiten. Denn schließlich ist das eine Sache meiner eigenen Einstellung. Aber trotzdem! Im Moment sind wir noch nicht so häufig mit Toni im Rollstuhl unterwegs. Und noch seltener in fremdem Terrain. Wie seltsam, dass für mich das „Störfaktor“-Gefühl viel entscheidender geworden ist, als beispielsweise ob das Essen schmeckt! Vielleicht – so hoffe ich – wächst durch häufigere Ausflüge eine dickere Haut oder aber eine tiefere Gelassenheit, sodass ich spontaner und entspannter sein kann. Nochmals kurz zurück zu voriger Woche und der Café-Suche: Letzendlich waren wir in einem Selbstbedienungs-Bäcker, wo es auch eine Kaffeemaschine gab. Es war okay, wir hatten Platz, der Kaffee war gut, die süßen Stücke in Ordnung. Das Beste war allerdings die Atmosphäre: die anderen Gäste vermittelten uns durch ihre intensiven Gespräche in einer mir unbekannten Sprache das Gefühl, im Urlaub zu sein. Ich meine das jetzt wirklich positiv ernst. Keine Ahnung, ob die so laut miteinander über die eigenen Nachbarn, die Politik oder über uns sprachen. Wie herrlich entspannend! |
Kategorien
Alle
Archive
August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |