2016
Einmal quer durch die Wohnung geht bei uns der Deckenlifter. Wie das bei den Türen funktionieren kann, habe ich mir anfangs nicht vorstellen können. Von der Hersteller-Firma erhielten wir vor einigen Monaten eine Anfrage. Eine andere Familie hat Interesse an dem „Tarzan“-Deckenlift, allerdings noch Fragen dazu und würde sich gern anschauen, wie das funktioniert. Ob es für Mama in Ordnung wäre, wenn die Kontaktdaten weitergegeben würden. Relativ spontan rief am Freitag eine Frau an und kündigte sich für den nächsten Tag an. Aus den geplanten zwei Stunden Anfahrt wurden stau-bedingt drei, aber die Mutter und das Teenager-Kind im Rollstuhl kamen heil und sicher an. Über einander wussten wir zuvor praktisch nichts. Nur scheinen wir im größeren Umkreis die einzigen zu sein, die dieses System ohne die bauliche Veränderung am Türsturz anwenden. Obwohl wir fremd waren, war das Gespräch offen, locker und von viel Lachen begleitet - richtig nett. Das Liftersystem führten wir dann selbstverständlich ausführlich vor. Ich wurde, im Tuch hängend, einmal vom Wohnzimmer durch den Flur bis ins Schlafzimmer befördert und dort auf dem Bett geparkt. Zu spüren, wie erleichtert die Frau schien, dass es tatsächlich auch für ihre Familie geeignet ist, war toll. Wir helfen gern, und es scheint dann alles einen größeren Zusammenhang mit tieferem Sinn zu geben. Ohne die Notwendigkeit selbst einen Deckenlifter nutzen zu müssen, hätten wir niemals die Geschichte dieser Familie gehört und die beiden nicht kennengelernt. Von Rollstuhl zu Rollstuhl war Neugier und Offenheit zu spüren. Toni hat sich ein Fettnäpfchen ausgesucht und seine eigene Frau auf Nachfrage mal spontan 10 Jahre älter gemacht! Da er bei solchen „Falschaussagen“ meist schmunzelt, bin ich mir nicht sicher, ob er das nicht mit Absicht macht, um mal eine starke Reaktion unsererseits auszulösen. naja... :-) Vielleicht bleiben wir in Kontakt, halten uns gegenseitig über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden? Jedenfalls war es gestern eine unerwartet schöne spontane Begegnung mit Fremden. 2013-2014<<
Wie geht das denn nun eigentlich genau mit dem Absaugen bei einer Trachealkanüle?!? Also: Wer nicht husten kann, der hat verirrten Speichel oder Sekret in den Atemwegen oder der Lunge und kriegt das dort nicht mehr weg. Es sollte da aber weg, damit das Atmen nicht anstrengt und bevor es schlimmstenfalls zu einer Lungenentzündung kommt. Wir hören am Atemgeräusch und merken auch an der Sauerstoffsättigung, wie es mit der „Atemwegs-Freiheit“ bei Toni steht. Ein Absauggerät funktioniert so ähnlich wie ein Staubsauger. Vorne auf den Schlauch wird jedes Mal ein neuer steriler Katheter gesteckt. Es gibt unterschiedliche Absaugkatheter. Wir hatten zum Schluss eine ganz dünne Variante mit speziellem Ende. Der Schlauch saugt das „Material“ in einen Auffangbehälter. Nach einem Absaug-Vorgang wird kurz Wasser nachgesaugt, um den Schlauch zu spülen. Der sterile Katheter wird in den Atemweg eingeführt und das störende Flüssige rausgesaugt. Die Katheter sind ca. 45 cm lang. Damit man dabei nicht zu tief oder bis in die Lunge kommt, muss man unbedingt wissen, wie lange die Kanüle ist. Erst als wir einmal mit der Logopädin zusammen eine Kanüle angeschaut haben und damit den Vorgang beim Entblocken durchgesprochen haben, wurde mir das alles so richtig klar. Alles mal „trocken“ zu sehen, also auf dem Tisch und in den Händen statt zum Großteil in Tonis Hals steckend, machte es für mich viel besser begreiflich. Überwiegend logische Sachlichkeit und weniger Emotion, das war hilfreich. Der Absaugvorgang kann unterschiedlich lang dauern. Es gibt ein Ventil, das es ermöglicht, den Katheter ohne Saug-Leistung einzuführen, damit in dieser Zeit keine Atemluft weggesaugt wird, die der Patient einatmet. Ist die richtige Stelle kurz unter dem Kanülen-Ende erreicht, kann mit dem Daumen das Ventil geschlossen werden und das Absaugen beginnt. Zwirbelt man dabei den Katheter leicht und zieht ihn gleichmäßig langsam heraus, erwischt man alles was drinhängt. Wer absaugt muss ganz einfach wissen, wie lang so eine Kanüle eigentlich ist und welchen Katheter man gerade benutzt. Wie tief kann man den Katheter einführen? Saugt sich das Katheter-Ende am Gewebe fest und verletzt es dabei möglicherweise die Luftröhre? Es gibt Katheter, die speziell entwickelt wurden, um Verletzungen zu vermeiden. Man kann nicht einfach mit jedem x-beliebigen Katheter bis zum Anschlag in der Lunge herumstochern. Manchmal reizt das Absaugen auch zum Husten. Toni kann dann kräftig und in hohem Bogen abhusten. Ja, es ist nicht sehr appetitlich. Trotzdem machen wir Witze darüber, wenn er dabei uns, den Schrank oder einen Vorhang erwischt. Immer noch besser als „Iieh!“ zu quicken, wegzurennen und damit seine Gefühle zu verletzen, oder? Unsere Erfahrung führt mich zu folgender Erkenntnis: Insbesondere bei Schädel-Hirn-Patienten sind Routine und bekannte Ablaufe extrem wichtig. Die Handgriffe bei der Pflege im Allgemeinen und beim Absaugen im Speziellen, nachvollziehbar immer auf dieselbe Weise durchzuführen, sorgt für Entspannung beim Patienten und ermöglicht auch eine Förderung. Weil ihm klar ist, was nacheinander folgt, bleibt er entspannt, kann er sich vorbereiten – und in Tonis Fall auch mit der Zeit selber mithelfen. Zugegeben, das ist nicht neu - aber wenn man sieht, welche Fortschritte Toni damit gemacht hat, wünsche ich mir, dass bei allen anderen Patienten dies ebenfalls beherzigt wird. Das ist jetzt die Absaug-Beschreibung bei meinem Vater. Es gibt natürlich Tracheotomierte, die sich selbst absaugen (können). Nur habe ich die dabei nicht persönlich beobachtet. Ich gehe davon aus, dass es ganz ähnlich funktioniert. Sonst korrigiert mich bitte, wenn ich falsch liege! :-) <2016>
Den Zustand seiner Aufmerksamkeit (oder vielmehr zeitweiligen geistigen Abwesenheit) nachdem Toni aus dem Wachkoma "wiedererwacht" ist, mache ich heute mal zum Thema: Ich könnte nicht sagen, dass er im Durchschnitt täglich soundsoviele Stunden abwesend ist. An manchen Tagen hat er Schlaf- und Wach-Phasen und ist stets ansprechbar. Es gibt aber auch Tage, da ist er überwiegend in sich gekehrt und einfach nicht ganz "da". Es schwankt ziemlich und noch ist mir nicht klar, ob es daran liegt, wie gut und erholt er sich nach der vorangegangenen Nacht fühlt oder ob es am Wettereinfluss liegt. Ich weiß auch gar nicht, ob ich es schaffe, diesen Zustand verständlich zu machen… In diesem Zustand sind seine Augenlider auf Halbmast, die Augen bewegen sich dauernd hin und her und was auch immer sie sehen mögen - es findet nicht in der Realität statt, die wir miteinander teilen. Taucht er daraus wieder auf, hat er uns seit neuestem oft dringlich etwas mitzuteilen. Das ist meist aber so schnell und undeutlich artikuliert, dass wir geduldig mehrfach nachfragen müssen, bis wir uns langsam zusammenreimen können, was eigentlich bei ihm los ist. „Kannst du mir bitte den Kellerschlüssel bringen?“ - „Was brauchst du aus dem Keller?“ - „Die Leiter.“ - „Warum musst du auf die Leiter?“ - „Draußen bei der Alarmanlage.“ - „Was musst du dort machen?“ - „Den Mikrochip ausbauen und hier drinnen einbauen.“ Oder: „Ich brauche drei von den kleinen schwarzen Magnetkontakten.“ Oder: „Der Schalter von der Glasbruchmeldeanlage muss ausgetauscht werden.“ Oder: „Bringst du mir meinen Führerschein?“ – „Wozu brauchst du den?“ – „Auto fahren.“ – „Wer fährt (also wer sitzt am Steuer)?“ - „Ich!“ Oder der Klassiker seit ein paar Monaten: „Was hast du heute gemacht?“ – Toni: „Ich war im Hallenbad!“ Kommt es zu solchen Kollisionen verschiedener Realitäten, versucht Mama, ihn langsam wieder an unsere Wirklichkeit heranzuführen. Sie stellt ihm Fragen über den Stand seiner körperlichen Fähigkeiten, ob er denn gerade wirklich eine Leiter hochsteigen könnte. Warum das so ist, was bei dem Schädelhirntrauma passiert ist. Und sie sagt ihm, dass er in Gedanken gern weiter an der Alarmanlage herumbasteln kann, aber eben in Gedanken. Nicht wirklich wirklich. Deshalb holt sie jetzt weder eine Leiter noch schiebt sie den Rollstuhl nach draußen zur nichtexistierenden Alarmanlage. Im ersten Moment ist es witzig, was er da so aus dem Nichts heraus erzählt. Es fehlt ihm auch noch die Übung, so dass Worte wie „Brandmeldezentrale“ lustig klingen. Nicht selten muss ich mich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Vor allem, weil wir uns noch immer nicht an die positive Tatsache gewöhnt haben, dass er von sich aus einfach zu Sprechen beginnt. Nicht immer haben wir die nötige Geduld und Kraft, ihm den Unfall und die Veränderungen im „Leben jetzt“ im Vergleich zum „Davor“ zu erklären. Manchmal hilft es auch, ihn dann einfach mit etwas anderem zu beschäftigen. Nicht immer, aber recht oft lässt er sich ganz gut ablenken. Es sind für ihn ja keine Tagträume oder Gedankenreisen. Es ist kein Luftschlossbau und auch kein Wunschdenken. Aus irgendeinem Grund rutscht manchmal seine Aufmerksamkeit auf eine andere Spur und folgt Erinnerungen, Erlebnissen oder sonst etwas aus dem Fundus seines Gehirns. Für ihn ist das dann real, so wirklich wie die Brille auf seiner Nase. 2014<<
Anfang des Jahres 2014 fehlte meiner Mutter der Austausch mit anderen Angehörigen von SHT-/Wachkoma-Patienten. In den Rehakliniken gab es immer hilfreiche Kontakte. Selbst wenn die Situation der Betroffenen unterschiedlich ist, kann doch unter den Angehörigen ein tiefes Verständnis für die jeweilige Gesamtsituation entstehen. Der Austausch ist wichtig. Sich ganz auf ein anderes Schicksal einzulassen und mitzufühlen, bietet für einen Moment Abstand von eigenen Sorgen. Das ist auch das einzige, wofür man sich zu öffnen wagt. Alles andere, worüber man sich v.d.U. (vor dem Unfall) vielleicht noch den Kopf zerbrochen hätte, ist sehr weit weg und berührt überhaupt nicht mehr. Beispielsweise die Sorge über das Wetter am Urlaubsort, zu dem man in Kürze aufbricht oder andere alltägliche Sorgen (samt deren Trägern) sind Welten entfernt. Allein zu Hause beginnt meine Mama Anschluss an eine Selbsthilfegruppe zu suchen. Allerdings suchte sie vergeblich. Der Verband Schädel-Hirn-Patienten in Not e.V. veröffentlicht in der Zeitschrift viel Nützliches, doch die wirkliche Nähe, der persönliche Austausch fehlt ihr. So also beginnt der ziemlich leise Anfang unserer Selbsthilfegruppe Tracheostoma. Für mich persönlich wirkten Selbsthilfegruppen nicht besonders attraktiv. Ich verband damit ein eher negatives Bild. Als würde sich dort zum Jammern getroffen. Durch den Kontakt zu anderen Selbsthilfegruppen-Leitern, der sich automatisch beim 2-jährigen Treffen der Selbsthilfegruppen in der Umgebung ergab, stellte ich zumindest fest, dass meine Vorstellung wirklich fern der Realität liegt. Dort kamen leider nur wenige Besucher zusammen, um sich über die Arbeit der Selbsthilfegruppen zu informieren. Die wenigsten kennen den Begriff Tracheostoma oder sind damit in Berührung gekommen. Die Freude und Erleichterung darüber war den Neugierigen anzumerken, die mit uns ins Gespräch kamen und nachgefragt haben. Andere Betroffene und deren Angehörige zu erreichen ist zu Beginn eher schwierig. Meine Mama wurde von den Personen, die Toni betreuen, bei der Gründung der Selbsthilfegruppe Tracheostoma unterstützt. So kommt es, dass bei den Treffen bislang immer die Logopädin und die Bereichsleiterin vom Hilfsmittel-Anbieter hier im Kreis teilgenommen haben. Bei speziellen Problemen hat man so die breite Kompetenz und verschiedene Lösungsansätze, was ich besonders hilfreich finde. Zu den Treffen kommt Toni mit. Da er seit dem Wechsel von gefensterter Trachealkanüle zu dem Platzhalter immer aktiver wird und auch an fast allem teilhaben will. Die Zeit des Eingesperrtseins hat für beide ein Ende! Inzwischen bin ich vom Konzept „Selbsthilfe“ auch selbst überzeugt. Am ehesten nachvollziehen und helfen kann ja jemand, der mit der komplexen Materie ebenfalls zu tun hat. Außerdem finde ich es sehr spannend, weil Menschen mit ganz unterschiedlichen Krankheitsbildern zusammensitzen und sich austauschen. Unterschiedlichste Leidenswege führen zu einer Trachealkanüle und das Tracheostoma ist das verbindende Element. |
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |