Ich habe mir ein Drama im Fernsehen angeschaut. Eigentlich weiß ich gar nicht warum – naja, in der Beschreibung stand was von Koma… möglicherweise deshalb.
„The Choice“ ist im Grunde eine Liebeskomödie. Ewig lang dauert es, bis die beiden zusammen kommen; unterhaltsam und witzig ist das anzuschauen. Und dann: Autounfall und sie liegt im Koma. Er leidet ganz fürchterlich darunter, es ist schaurig-traurig und extrem herz-schmerzend anzusehen. Am Bett sitzend redet er wie immer mit ihr und manchmal fleht er sie verzweifelt an, zu ihm zurückzukommen. Nach einiger Zeit (Jahreszeiten wechseln, ich weiß nur nicht wie viele) gibt es immer wieder Gespräche mit dem Arzt: nach 90 Tagen sind die Chancen deutlich geringer,´; die Statistik sagt "blablabla"; sie atme schon so lange nicht mehr selbstständig; kurzum: er müsse das Einverständnis geben, die lebenserhaltenden Maschinen abzuschalten, damit ihr Wunsch (laut ihrer Patientenverfügung) erfüllt werden könne. Dazu ist er aber nicht bereit, hadert mit sich und der Entscheidung lange. Er meint, es dauere schon viel zu lange und man sieht, wie er an der Situation fast zerbricht. Als ein Hurrikan sich anbahnt, denke ich: Okay Karin, sei bereit: es ist ein Drama. Er will nicht evakuiert werden, damit er nahe beim Krankenhaus bleiben kann, vermutlich ist es das dann. Die Kinder der beiden werden von Schwester und Großeltern aufgezogen und alle erinnern sich an die große Liebesgeschichte der beiden. Aber so kommt es nicht. Er baut einen Pavillon an ihrem geheimen Lieblingsplatz, hängt dort ihr selbstgebasteltes Windspiel auf und als sich dieses wie wild gebärdet, rast er ins Krankenhaus. Im Zimmer sitzt seine Frau im Bett. „Du hast Dich verspätet!“ sagt sie. „Aha!“, denke ich. Und wo ist da jetzt das Drama? Alles in allem dauerte die Koma-Phase im Film vermutlich weniger als ein Jahr. Noch ein wenig schwach, ansonsten aber ohne Beeinträchtigung darf sie das Krankenhaus verlassen. Zuhause sprechen die beiden. Sie habe alles gehört, was er ihr gesagt habe. Sie halten sich im Arm und schauen aufs Wasser. Welch wundersame Wendung und Überraschung: Happy End! Fernseher aus, Realität an und in mir kommt eine leichte Gereiztheit auf. So viele Menschen erleben das oder Schlimmeres tatsächlich. Befinden sich in diesem Schrecken über viele Jahre hinweg, warten und hoffen darauf, dass der/die Partner/Partnerin zurückkehrt. Manchmal tun sie das, aber im seltensten Fall geht das vonstatten wie im Film. Mir ist klar, dass Wachkoma und Koma nicht miteinander vergleichbar sind. Mir ist auch klar, dass es kaum ein dramatischeres Element gibt – und dennoch hinterlässt es bei mir einen seltsamen Nachgeschmack, wenn in Filmen Koma instrumentalisiert wird. „Das weckt nur unrealistische Hoffnungen!“ sagte Mama, als ich ihr von diesem Film erzählt habe. Bei Tonis Unfall hatten wir keine Wahl. Er hat im Koma selbstständig geatmet. Ich würde es sogar so sagen: Uns blieb vor fünfeinhalb Jahren keine Wahl, als künftig alle Entscheidungen so gut wie möglich in seinem Sinne zu treffen. Er ist seitdem weg und trotzdem da, mit all dem notwendigen Versorgungs-/Pflegebedarf. Auch dabei gäbe es Wahl-Möglichkeiten, die aber nicht wirklich zur Debatte stehen. Wo und wie man den Betroffenen Angehörigen versorgt wissen will, ist in jedem Fall / je nach Situation unterschiedlich. Aber keiner ist frei von der komplexen Verantwortung, für einen Erwachsenen (den Partner, ein Elternteil, Bruder oder die Schwester), Entscheidungen treffen zu müssen. Ohne sich absprechen zu können! Der Schrecken kommt im Film gut rüber, das muss ich zugeben. Und jetzt stellt Euch vor, der endet nicht! Es gibt Menschen, die sich seit Jahrzehnten im Wachkoma befinden. Jahrzehnte! Das ist wirklich dramatisch, finde ich. Über Patientenverfügungen oder Vorsorgevollmachten denke ich nicht gerne nach. Bei uns in Balingen gibt es jetzt die Rotkreuzdosen. Die kann man in den Kühlschrank stellen (weil den jeder in jeder Wohnung findet) und dort drin vermerken, welche Vorerkrankungen bestehen und wo sich Patientenverfügung und/oder Vorsorgevollmachten finden lassen. Eine gute Sache! Mama hat die Dosen diese Woche geholt und bestückt. Somit ist für die Sanitäter im Notfall alles klar.
Am liebsten wäre mir auch früher gewesen, meine Eltern hätten da nicht drüber geredet. Aber das taten sie. Am Ende saßen wir alle beim Notar und unterschrieben die gegenseitige Vorsorgevollmacht. Das ist inzwischen 20 Jahre her und nachdem das mal vorbei war, habe ich auch das Unwohlsein wieder abgelegt, denn schließlich lebten wir alle völlig unbehelligt weiter. Im Nachhinein muss ich sagen: war nicht so schlimm. Ein wenig so wie eine Schutz-Impfung: kleiner Pieks, merkt man noch ein paar Tage und dann ist es gut. Ich hoffte immer, dass es niemals so weit kommen wird und weder ich noch die Menschen um mich herum leiden müssten. Aber hoffen wir das nicht alle? Toni hat vorgesorgt, hatte eine Unfallversicherung abgeschlossen, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Organspende-Ausweis ausgefüllt. Das hat es für Mama leichter gemacht. Doch: ganz sicher hat auch er immer gehofft, dass es niemals zu einem Unfall kommen würde! Ich werde mal genau nachschauen, wo ich meine Patientenverfügung eigentlich habe, sie ggfs überarbeiten und dann vielleicht auch so eine Rotkreuzdose anschaffen. Nur für alle Fälle... |
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |