<2016>
Bevor wir überhaupt mit dem richtigen „Ausflug vorbereiten“ anfangen können, haben wir die Chance zu wählen. Mit Auto? Oder zu Fuß mit dem E-Rolli? Für alle weiteren Strecken natürlich mit dem Auto. Aber brauchen wir am Zielort den E-Rolli oder bewegen wir uns dort nicht so weit fort? Dann also der leichte Rollstuhl mit dünnen Reifen! Toni kann entscheiden, ob er auf dem Beifahrersitz oder hinten im Rollstuhl sitzen möchte. Selbstverständlich ist das wetterabhängig. Im Winter geht das natürlich nicht. Da würde er zu leicht auskühlen. Bei starkem Regen oder bei angekündigten Regenfällen fällt die Option "Beifahrersitz" ebenfalls ins Wasser. Falls aber wetterbedingt nichts dagegen spricht, kann er es sich aussuchen. Je nachdem wird dann entschieden, welche Schuhe er anbekommt, wie er angezogen wird… Viel cooler ist es für meinen Auto-Fahren-Fan-Vater natürlich, wenn er vorn sitzt. Wenigstens auf dem Beifahrersitz, wenn wir ihn schon nicht selbst fahren lassen! Anfangs hing er da recht schief im Sitz. Aber inzwischen hat er eine bessere Rumpfmuskulatur, kann sich selbst ganz gut wieder geraderücken, wenn eine Kurve ihn mal aus dem Lot gebracht haben sollte. Aber dennoch wird er dort an der linken Körperseite durch Kissen gestützt. Sicherheitshalber. Das Einsteigen ist richtig super: Der Beifahrersitz dreht sich auf Knopfdruck um 90° aus dem Auto heraus. Dann fährt er sogar noch weiter raus und weiter runter. Mit dem Rollstuhl fahren wir parallel zum Auto heran, sodass sich die Sitzflächen an einer Ecke fast berühren. Vorher muss die Nahrungszuleitung abgestöpselt worden sein und er muss zuletzt Wasser bekommen haben (sonst trocknet die PEG ein). Toni zieht sich an Mamas Oberkörper hoch, in Trippelschritten dreht er sich dann rüber vor den Beifahrersitz und gemeinsam setzen sie ihn dort ab. Der Rollstuhl muss zur Seite, auf Knopfdruck fährt der Sitz zurück und dreht sich wieder ins Auto rein. Da ist dann der wichtige Moment, in dem auf die Füße geachtet werden muss. Die sollen ja auch mit rein ins Auto und das geht ohne unsere Hilfe noch nicht. Schließlich ist er drin, wird angeschnallt und links mit Kissen abgestützt. Meist werden noch die Beine wärmend verpackt und die Tür geschlossen. Der leere Rollstuhl wird hinten eingeladen, festgezurrt und der Rest des Gepäcks für die Fahrt verstaut. Sind wir angekommen, müssen wir höllisch aufpassen: Toni neigt dazu, sofort die Beifahrertür zu öffnen. Völlig egal, ob da von hinten ein Auto, Fahrrad oder Mensch kommt. Als wäre es ihm möglich, sich abzuschnallen und gleich raus zu hüpfen! Das ist eigentlich die einzige Situation, wo ich ihn ungeduldig erlebe. Beim Ankommen am Zielort – und vielleicht beim Essen ;-) Tja und dann kommt die ganze Prozedur wieder rückwärts dran, versteht sich. Aber obwohl das ein wenig aufwändiger ist, als ihn im Rollstuhl einzuladen, sind wir froh, ihm diese Variante anbieten zu können, weil er so gern Auto fährt, dabei immer aufmerksam schaut und es sichtlich genießt, vorne sitzen zu können. <2016>
Neben all dem anderen (Pflege/Therapien/Fort- oder Rückschritte) wird mir immer wieder auch deutlich, dass Flexibilität nicht so wirklich zu 100% zu unserem Alltag gehört. Meistens dann, wenn wir einen Ausflug planen. Eltern mit Kindern so zwischen 0 und 5 Jahren kennen das wahrscheinlich: wieviel passen muss (Hunger, Toiletten-Besuchs-Planung) und wieviel Zeug eingepackt sein muss, bevor man überhaupt erstmal aus dem Haus gehen kann! Am gelassensten können wir sein, wenn wir genau wissen, was uns erwartet. Was wir tun werden, was es zu essen gibt (das Toni auch essen kann – falls er das möchte), ob dort Kopfsteinpflaster, Rasen, Schotter oder geteerte Wege sind. Inzwischen bekommt Toni ja auch fast immer alles mit. Dann plötzlich vor einem Hindernis zu stehen ist blöd – bzw. macht mir ein blödes Gefühl. Klar, keiner erwartet, dass alles immer perfekt ist. Aber ich bin gern vorbereitet, habe die wichtigsten Punkte durchdacht und es stresst mich, wenn wir vorhaben irgendwohin zu gehen und dann dort so unebenes Gelände vorfinden, dass es mit dem leichten Rolli mit dünnen Reifen fast unmöglich ist, beispielsweise einen Hügel hochzukommen. Wir hätten Toni ja einfach in den anderen Rollstuhl setzen und ebenfalls Spazierengehen können, zum Beispiel. Hätten können, wenn wir es vorher gewusst hätten. Oder letzte Woche: Da fragen wir in einem Ort nach einem Café, da Toni sich zu Wort meldete mit „Wo gibt’s nachher Kaffee und Kuchen?“ Die angesprochene Person schwärmt uns vor: „XYs ist toll – ach, aber das geht ja mit dem Rollstuhl nicht! Hmm, naja, es gibt noch MN, etwa 10 Minuten weiter, den Berg hoch.“ (und unterschwellig schwingt mit: aber XYs ist einfach viel besser) Ha, wie witzig! Da überlege ich mir doch echt, ob ich nicht lieber Toni und Rollstuhl jeweils einzeln die 5 Treppenstufen hochschleppe, bevor ich mich einen steilen Hügel 10 Minuten lang hoch und dann wieder runter (fast noch schlimmer!) quäle. Das ist unflexibel von mir und nervt mich selbst. Und doch würde ich manchmal einfach gern so frei sein wie früher. Als wir überall da reingehen konnten, wo uns die Speisekarte oder das Ambiente zusagten. Nein, das muss ich anders sagen: wo wir überall ganz elegant und ohne Umstände, Schweißausbrüche, öffentliches Gaffen einfach hineingehen und einen Platz einnehmen konnten, ohne andere Gäste zu stören. Na gut, elegant war ich wohl eher selten – zumindest jedoch unauffälliger. Ich weiß, daran kann und muss ich arbeiten. Denn schließlich ist das eine Sache meiner eigenen Einstellung. Aber trotzdem! Im Moment sind wir noch nicht so häufig mit Toni im Rollstuhl unterwegs. Und noch seltener in fremdem Terrain. Wie seltsam, dass für mich das „Störfaktor“-Gefühl viel entscheidender geworden ist, als beispielsweise ob das Essen schmeckt! Vielleicht – so hoffe ich – wächst durch häufigere Ausflüge eine dickere Haut oder aber eine tiefere Gelassenheit, sodass ich spontaner und entspannter sein kann. Nochmals kurz zurück zu voriger Woche und der Café-Suche: Letzendlich waren wir in einem Selbstbedienungs-Bäcker, wo es auch eine Kaffeemaschine gab. Es war okay, wir hatten Platz, der Kaffee war gut, die süßen Stücke in Ordnung. Das Beste war allerdings die Atmosphäre: die anderen Gäste vermittelten uns durch ihre intensiven Gespräche in einer mir unbekannten Sprache das Gefühl, im Urlaub zu sein. Ich meine das jetzt wirklich positiv ernst. Keine Ahnung, ob die so laut miteinander über die eigenen Nachbarn, die Politik oder über uns sprachen. Wie herrlich entspannend! |
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |