Mir sind die Worte abhanden gekommen. Zumindest die „richtigen“...
Dennoch heute ein Versuch: Es gab keine deutlichen Hinweise. Er war oft müde - so wie häufig in den vergangenen Jahren; „wegen des Wetters“ meinte er. Er wollte nicht mehr immer laufen üben. Er war kraftloser, kurzatmiger. In der Lunge war nichts, eine Herzuntersuchung stand noch aus. Das Blut wies dann auf eine Blutbildungsstörung hin. Genauere Hinweise oder Untersuchungen hätte ein Hämatologe liefern können. Das war der Stand am Freitagmittag. Toni wollte keine weiteren Untersuchungen. Er meinte, er hat verstanden, dass die Blutwerte sehr schlecht sind. Wissen warum und etwas unternehmen wollte er jedoch nicht. Am Samstag kam es zu einem ruhigen Gespräch zwischen den beiden. Mama fragte Toni vieles - er beantwortete alles klar. Er spürte wohl, dass er gehen muss. Er hat keine Angst davor, sei jedoch traurig. Er möchte keinen Besuch erhalten. Seebestattung - wie schon früher oft geäußert - war sein Wunsch. Eine große Trauerfeier, Trauerkleidung. Auch seine Wünsche hinsichtlich Musik und wo die Trauergesellschaft danach hingehen sollte, teilte er mit. Die Traueranzeige wollte er gern vorher auch hören. Als ich am Samstag Abend vorbeikam, wollte er gerade aufstehen. Zusammen standen wir also zu dritt im Wohnzimmer. Am Sonntag aßen wir gemeinsam und genossen das Zusammensein. Er hielt meine Hände und lächelte vor sich hin. Nachmittags bemerkte ich, dass er seine Hände vom Bauch wegbewegte und fragte nach. Er habe Bauchschmerzen und ja, er möchte ins Bett. Da begann dann die Palliative Behandlung. Montag, Dienstag, Mittwoch - die Schmerzen ließen sich mal gut, mal weniger gut betäuben. Wir besprachen die Traueranzeige, redeten viel mit ihm, er reagierte mit Nicken. Er schien sehr ruhig - abgesehen von den Schmerzspitzen war es eine friedliche Stimmung. Sterben ist nicht so leicht, zuzusehen ist es ebenfalls nicht. Die Ärztin unterstütze Mama, wann immer es nötig war. Er war nicht allein, Mama blieb die ganze Zeit bei ihm. Seinen letzten Atemzug tat er dann in den frühen Morgenstunden am Donnerstag, den 16. Juli 2020. Es ist nicht schön, dass er diese Krankheit (was auch immer das genau war) bekam. Er wäre gern bei uns geblieben und hatte auch kein Problem damit, dass wir dabei waren die Pflege auf mehrere Schultern zu verteilen. Wäre der Unfall vor 7 Jahren und 9 Monaten nicht gewesen, hätte es vielleicht früher bemerkt werden können. Hätte, wäre, könnte - wer kann schon sagen, wie uns das dann alle durchgeschüttelt hätte. Schön war, dass er jetzt einen so bewussten Abschied und einen (von Mamas Liebe) getragenen Übergang erleben durfte. Für uns waren es nur 7 Tage vom Realisieren der Lage bis zum Ende. Er hat es wohl schon viel früher gespürt. Im Rückblick bin ich auch dankbar dafür, dass er klar war, geistig voll da. In den letzten Tagen nicht mehr so verwirrt wie sonst manchmal. Wir wollten nicht, dass er geht. Aber wenn er schon gehen muss, dann wenigstens so.
0 Comments
Es ist mal wieder Mai - und weitere Veränderungen bahnen sich an! Wie im März berichtet, liegen fast 2 Monate mit der Nachtwache (4 von 7 Nächten/Woche) hinter uns. Schön ist, dass Toni morgens oft Mama begrüßt: "Guten Morgen, Elfriede!" - Ganz von sich aus! Unsere "Angehörigen-WG" läuft gut! Der Hund freut sich, dass abends hin und wieder auch Mama mitlaufen kann. Sie schläft gut hier bei uns - allein das Wissen, nicht hinhören und aufstehen zu müssen wirkt erholsam. Außerdem sind allein die Treppen ein Mehr an täglicher Bewegung! Umso heftiger sind die drei Nächte pro Woche, in denen an Erholung nicht zu denken ist. Eigentlich kommt mir das erst jetzt so richtig ins Bewusstsein: im Prinzip ist es für Mama eine ständige Doppel- und Dreifach-Schicht! Nach dem Tag (mit Pflege und Haushalt und Selbsthilfegruppen-Dingen) folgt eine Nachtschicht mit mehrmaligem Lagern, ggfs auch Bett frisch beziehen. Und darauf folgt dann eine weitere Tagesschicht: noch mehr Wäsche zu waschen, Morgentoilette unterstützen, Frühstück machen, Geh-Übungen, Unterhaltung (Spiele/Musik/Fernsehen) anbieten ... pausenlos! Es war echt an der Zeit, dass sich was tut! Da sich die Nachtwache mit den Pflegepersonen des Intensiv-Pflegedienstes so gut gestaltet - und Mama diese Dreifach- oder Fünffach-Schichten (am Wochenende) sehr auslaugen, ist nun als nächster Schritt die Ausweitung der Nachtwache vorgesehen. Das startet ab dem 1. Juni 2020! Jede Nacht darf Mama erholsam und beruhigt schlafen, weil Toni gut versorgt und gelagert wird. Wir haben bereits lange gewartet - und ja, das ist nicht das Ziel, das wir final erreichen wollen - ABER es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin! Schließlich kann es durchaus sein, dass die Realisierung des Projektes "Alle unter einem Dach" (Pflege-WG, Begegnungsstätte und darüber kleine Wohnbereiche für Angehörige) noch einiges an Kraft und Energie fordern wird. Wie das ohne vorherige Entlastung funktionieren würde, ist mir ein Rätsel! Außerdem ist es vorteilhaft, das Pflege-Team im Kleinen zu starten und nach und nach weiter auszubauen! Möglich ist künftig eventuell auch, dass Toni hin und wieder tagsüber stundenweise betreut wird. Möglich ist in einem weiteren Schritt eventuell auch, noch eine weitere Person (Schwerst-Schädel-Hirn-Verletzte/r) zusammen mit Toni in der gut ausgestattenen Wohnung zu betreuen. Das wäre dann der Beginn der angestrebten Pflege-WG - nur eben im Mini-Format! :-) Auch wenn wir also noch immer geduldig darauf warten, unser Ziel "unter einem Dach" weiter voranbringen zu können, sind wir (damit meine ich vor allem Mama) jetzt aktiv! Vorsorglich wird um- und ausgeräumt, Lieblingsstücke werden eingelagert, es wird Platz gemacht, Raum für Therapie-Geräte geschaffen... Und wie geht es Toni dabei? Er kriegt natürlich mit, wie Mama werkelt, räumelt und in Kartons packt. Gestern hat er bemängelt, dass die Beschriftung auf einer der Schachteln nicht völlig korrekt war ;-) Toni nimmt daran Anteil, auf Anfrage und Erklärungen reagiert er mit Zustimmung. Findet er "gut", die Pflegekräfte sind alle "umgänglich". Bei uns wächst die Hoffnung, dass wir auch mal wieder Kraft für einen Ausflug haben könnten. Vielleicht. Ich finde es vor allem gut, dass sich etwas verändert! Wir sind auf dem Weg! Das ist eine wirkliche Zäsur und wir wissen, wie viel sich für alle seit der letzten Woche geändert hat. Seltsamerweise ist für uns alles wie immer. Wir hatten die letzten 7 Jahre "Ausgangssperre", hatten kaum Kontakt... insofern ist es nichts besonders Schwieriges für uns im Moment. Im Umgang mit Toni waren wir ja schon bei jeder Erkältung vorsichtig (Abstand, Händewaschen...) - also auch da alles wie immer.
Toni bekommt natürlich alles darüber mit. Er wusste, dass man jetzt die Füße statt der Hände "schüttelt" und was Corona/Covid-19 ist, weil er es im Fernsehen mitverfolgt. Meistens vergisst er solche Sachen ja wieder, aber im Moment ist ihm das Virus doch sehr präsent. Ihm macht das Virus aber keine Angst. Wir unterhalten uns natürlich auch darüber. Was ist mit den Pflegepersonen zu beachten? Sollen wir die Nachtwache aussetzen oder nicht? Wie ist Tonis Konstitution? Wäre es für ihn wie jeder andere Atemwegsinfekt auch oder müssten wir mit dem Schlimmsten rechnen? Das dauerte bei mir alles ein paar Tage, bis ich alles soweit akzeptieren konnte. Mich mit der Arbeit zurechtzufinden, die sich ganz anders anfühlt in dieser Situation. Alle Möglichkeiten bis zum Ende durchzudenken und dann mit dem Grübeln bewusst aufzuhören. Schließlich kann niemand genau sagen, wie lange das alles geht und wer warum wie schlimm betroffen sein könnte und wohin das dann letztlich führt. Das ist es, was es für uns alle gleich macht: Die Ungewissheit was morgen ist. Dabei war es ja auch vor Corona so, dass nicht sicher feststand, wie das Leben läuft. Nur dachten wir eben alle, es gäbe eine Sicherheit und haben Pläne gemacht. Bevor ich mich hier hingesetzt habe, wollte ich von Toni wissen, was er den Blog-Lesern sagen möchte (bezüglich Corona): "Es geht mir gut! Alles Gute und bleibt alle gesund!" Ab heute beginnt ein neuer Abschnitt für uns alle!
Da unser Ziel (Pflege-WG, Begegnungsstätte und Angehörigen-Wohnungen unter einem Dach) noch nicht greifbar ist, haben wir eine Veränderung und damit eine Entlastung geplant, die ab heute greift! Jetzt gründen Mama und ich erstmal eine WG! Zu Beginn nur in den Nächten, in denen Toni hier von einem Pflegedienst versorgt wird. Das wird in 4 Nächten pro Woche der Fall sein. Toni kann aufbleiben, solange er will, wird zu Bett gebracht, in der Nacht gelagert und morgens hilft die Pflegeperson Toni beim Aufstehen, Waschen und Anziehen. Eine einschneidende Veränderung - ja. Aber auch eine Veränderung, die uns hoffen lässt, mal durchatmen zu können. Wir haben das offen mit Toni besprochen und ihn häufig angesprochen und gefragt, ob es für ihn in Ordnung ist. Nachdem er dann einmal mit Mama telefonieren wollte, was gut geklappt hat und was ja jederzeit möglich ist, glaube ich, dass bei ihm keine Zweifel mehr bestehen. Toni war immer offen dafür und sagte jedes Mal, er findet das gut, es sei kein Problem und alles okay. Jetzt wünsche ich Toni, der Pflegeperson und Mama heute eine GUTE NACHT! P.S.: Endlich habe ich auch die Chronik auf Vordermann gebracht - bei "Über uns" Unser Verein ist jetzt gegründet und startet durch!
Er heißt iNot e.V. - denn Tonis Fortschritte sind der Antrieb dazu, ähnliche Fortschritte auch anderen Betroffenen und deren Angehörigen zu ermöglichen. Sein Name rückwärts gelesen lautet inot - darin steckt in gewisser Weise ja "in Not" drin. Und daraus entstand das gesamte Motto: iNot e.V. : in Not zusammen - leben, fördern, pflegen Hier geht es zur neuen Homepage des Vereins. Aktuell sind wir (vereinstechnisch) auf der Suche nach Räumlichkeiten, in denen unsere Raus-aus-der-Isolation-Begegnungen stattfinden können. Dazu sind ausdrücklich nicht nur Angehörige mit oder ohne ihre Betroffenen eingeladen, sondern auch alle anderen. Wir wünschen uns einen Abbau der Hemmschwellen, sodass sich die Gelegenheit ergibt, die jeweilige Geschichte hinter den Leuten im Rollstuhl (z.B.) kennenzulernen. Wie geht es Toni?
Wenn er gefragt wird, wie es ihm geht, antwortet er meist: " GUT". In manchen Situationen ist er sich bewusst, dass ich rund um die Uhr in seiner Nähe bin und ihn versorge. Eine kurze Begebenheit bestätigt dies. Am Sonntag, 24.11. während ich Toni duschte, meinte ich: " Jetzt bin ich schon 7 Jahre tagein, tagaus für dich da und wo bleibe ich?" Zu meiner Überraschung antwortete Toni: "Im Haus". "Warum?", wollte ich wissen. " Weil's guad isch" ("Weil es gut ist"), sagte Toni. Ich fragte: "Für wen?" Toni: "Fir mi!" ("Für mich!"). Wie recht er doch hat! Denn er ist in jedem noch so kleinen und für uns selbstverständlichem Bereich der Körperpflege, der Nahrungsaufnahme, des körperlichen und geistigen Wohlbefindens auf Hilfe angewiesen. Apropos "geistiges Wohlbefinden": Toni ist gedanklich meistens beim Arbeiten. Mal müssen EDV-Leitungen verlegt oder die Alarmanlage programmiert werden. Und ein anderes Mal sind Glasbruchmelder defekt, müssen Riegel-Schaltkontakte ausgetauscht werden oder die Alarmanlage lässt sich nicht mehr scharf schalten. Solche Informationen bekommen wir, wenn wir ihn fragen, wo er sich gerade in Gedanken befindet. Es kommt aber auch vor, dass er nachts unbedingt aufstehen will, um eine Störung zu beheben. Bei all diesen verschiedenen gedanklichen Beschäftigungen kommt mir (und auch Toni) zugute, dass ich mit ihm darüber sprechen kann, weil wir uns in unserem früheren Leben abends über unseren Arbeitstag ausgetauscht haben. Manchmal befindet er sich auch in Herbertingen; dort ist er aufgewachsen und zur Schule gegangen und war Mitglied im Ausschuss der Jahrgänger. Auch in diesen Momenten profitieren wir beide davon, dass ich aus seinen früheren Erzählungen mit ihm sprechen und gezielt nachfragen kann. Ich bin froh und dankbar über die bestehende, verständnisvolle und mitfühlende Verbindung - besonders zu den Ausschussmitgliedern. In den vergangenen Jahren hat sich Toni - was die Beweglichkeit betrifft - wieder viel erarbeitet, und er ist nach wie motiviert beim Trainieren. Dieser Fortschritt hat allerdings zur Folge, dass er nicht ohne Aufsicht sein darf. Denn auch wenn er "nur" in Gedanken arbeitet, muss er z. B. aufstehen, zur Tür hinaus oder an den PC. Es genügen ihm oft schon wenige Minuten, um uns manchmal mit unliebsamen Geschehnissen zu überraschen. Eine große Freude bereitet es uns, wenn er richtig wach und bei uns ist. Dann spielen wir zusammen "Mensch ärgere dich nicht", Kniffel oder Romme. Weihnachten 2019 für uns in unserer Welt – ein Fest …. … der Familie:
… der Liebe:
… der Freude:
… des Friedens:
… der Stille:
… der Besinnung:
Ich hatte als Kind hellblaue Lackschuhe, die ich wirklich sehr liebte. So sehr, dass ich nicht glauben wollte, sie könnten mir mal nicht mehr passen! Genau das ist aber passiert: sie wurden zu klein und es tat weh, sich da dennoch hinein zu quetschen, weil ich diese Schuhe unbedingt behalten wollte.
Gestern zog ich Toni seine Pantoffeln wieder an und dabei fiel mir das Märchen von Aschenputtel ein, wo zum Schluss der gläserne Pantoffel vielfach vergeblich anprobiert wird. Im Zusammenspiel mit den blauen Lieblingsschuhen gibt das möglicherweise ein nachvollziehbares Bild. Das Leben mit all den Möglichkeiten, das ich vor dem Unfall meines Stiefvaters führte, ist wie das Paar blaue Kinderschuhe: Obwohl es an ihnen nichts auszusetzen gibt und ich sie immer noch mag, kann ich darin nie mehr gehen. Mich reinzuquetschen täte unheimlich weh und geht gar nicht mehr ganz. Unter Schmerzen habe ich einsehen müssen: ich bin da herausgewachsen. So vieles im Leben der Menschen um mich herum ist für mich undenkbar und unerreichbar. Der Besuch einer Weihnachtsfeier oder Familienfeste – ich kann das nicht. Dauernd erinnert Schmerz daran, dass ich das nicht erreichen kann. Das ist als wären alle anderen in ihren Blauen Schuhen weitergegangen, während ich keinen Schritt darin mehr tun kann. Obwohl ich das gerne möchte, denn schließlich waren meine Schuhe (also mein Leben und seine Aussichten) gut. Oft ist das unendlich frustrierend. Ständig hinterfrage ich: Stelle ich mich nur blöd an? Müsste ich mich einfach zusammenreißen? Da es meiner Mutter aber ähnlich geht, glaube ich es ist einfach so. Durch den Unfall mussten wir wachsen. In eine andere Richtung als geplant. Deshalb können wir nicht mehr zurück, denn da passen wir nicht mehr rein. Das ist es, was wir meinen mit „der anderen Welt“ und „unserer Welt“. Und hier in unserer Welt reiße ich mich sehr zusammen. Ich bin zwangsweise optimistisch, da mein früherer Pessimismus uns auch nicht weiterhilft. Ich versuche wegzuschieben, was jetzt im Moment nicht lösbar ist und kümmere mich darum, gesund zu bleiben und jeden Tag aufzustehen. Alles reduziert sich auf ganz wenig. Auf Schuhe, die passen und in denen ich gehen kann. Herzlichen Dank und eine frohe Kunde
an den ehemaligen Leiter der Dysphagie- und Kanülensprechstunde Herr Dr. med. Paul Diesener Familienleben durch Schicksale zerschellt, katapultiert in eine andere Welt. Kabel, Monitore, Schläuche, zwischendurch Alarmgeräusche. Hoffen, warten, bangen - im Gefühlschaos gefangen. Intensivstation, Frührehabilitation und danach dann Frustration! Mein Mann - austherapiert mit Tracheostoma, schwer pflegebedürftig und noch im Wachkoma. Zustanderhaltende Therapie ist nicht schwer, Lebensqualität verbessernde hingegen sehr. Mit der Logopädin Lisa haben wir viel Glück; doch die Kanüle ist ein problematisches Stück. Wer kann uns helfen, die Not ist groß! Wie bekommt mein Mann die Kanüle los? Von Corinna - Mitarbeiterin bei medigroba - kam die frohe Kunde, Dr. Diesener im Hegau Jugendwerk macht Kanülensprechstunde. Mit einer angepassten Kanüle fahren wir wieder nach Haus'. Ein halbes Jahr später ist das lästige Ding endlich 'raus! Ein Platzhalter genügt zukünftig und gibt Sicherheit. Wir im "Balinger" Netzwerk stehen gerne mit Rat und Tat bereit. Mein Mann ist wacher, schluckt Bissen um Biss. Unser Dank sei Ihnen, werter Herr Dr. Diesener auf ewig gewiss. Er greift an der Kaffeetafel selbstverständlich zu, ist wieder Teil der Gesellschaft, feiert mit im Nu. Vom Liegen und Sitzen genug; übt er das Stehen. Inzwischen trainiert er sogar das Gehen. Dies alles Dank Ihres Wissens, Ihres Mutes und Ihrer Erfahrung. Damit sind Sie nicht nur für uns eine Offenbarung. Nicht zu vergessen ist Ihre sehr würdevolle Art, mit respektvollem Umgang und Wissensvermittlung gepaart. Ob wir über Ihren Ruhestand lachen oder weinen sollen, wissen wir nicht so recht, doch wir wollen - entgegen aller Abschiedsschmerzen - Ihnen alles Gute wünschen; und das von Herzen. Ganz schnell kann es gehen und plötzlich sind wir wieder im Notstand-Modus! Was genau es war oder ausgelöst hat, wissen wir nicht. Inzwischen geht es ihm wieder gut.
Letzten Donnerstag jedoch hat Toni abends zweimal erbrochen und am nächsten Morgen erneut. Da jedoch einen Riesen-Schwall Galle! Der Bauch sehr aufgebläht und die Sorge „hoffentlich ist es kein Darmverschluss“!! Ich kam zum Helfen – das ganze Bett war voll. Ein Anruf in der Arztpraxis und der Plan für den Tag stand fest. Ein Hausbesuch geplant für mittags, ein Medikament gegen Übelkeit und abwarten. Glücklicherweise kein Verschluss, beobachten, was der Verlauf bringt. Die Blähungen mit Colon-Massagen und Lefax verringern und abwarten. Bei Medikamenten ist ja immer wichtig, ob man die mörsern (oder Kapseln öffnen) und über die PEG geben kann. In der Apotheke gab es Lefax sogar als Granulat, das einfach in den Mund gegeben wird und zergehen kann. Perfekt für Toni. Er wollte wieder zurück ins Bett und auf den Rücken liegen. Toni klagte lediglich über Schmerzen im Hals – als Folge des Erbrechens. Keine Bauchkrämpfe. Wir lagerten seine Beine hoch, im 90° Winkel (dazu einen großen Waschkorb mit der Öffnung nach unten ins Bett und darüber ein weiches Kissen. Außerdem gab es eine Wärmflasche und Bauchwickel. Sofern er das wollte, haben wir seine Beine bewegt, als ob er Radfahren würde. Das und zusätzlich die Medikamente – es wurde langsam besser. Die Gradwanderung war eher: wieviel Flüssigkeit gibt man und in welcher Geschwindigkeit um seinen Magen nicht zu reizen und dennoch eine Dehydration zu verhindern – nicht, dass sich als nächstes die Nieren melden! Auf so einen Schock war ich – Überraschung! – nicht vorbereitet. Es wurde im Laufe des Sonntags besser, ein Aufenthalt im Krankenhaus schien bereits am Samstag nicht notwendig. Toni war sehr lange erschöpft und schlief ziemlich viel. Bereits am Montag wollte er schon wieder gehen – was natürlich nicht ganz so gut funktionierte wie zuletzt, aber er trainierte viel und hat sich rasch von diesem Galle-Schwall-Vorfall erholt. Tonis Ziel ist vorrangig noch immer das Gehen! Dabei macht er ja wirklich schon gute Fortschritte. Allerdings ist noch viel Übung nötig. Vor einer Stunde waren wir im nahen Fitness-Studio - dort durften wir mit Toni im Rollstuhl hin und ein Laufband ausprobieren. Einfach um zu sehen, wie Toni das überhaupt bewältigen kann und empfindet. Der Vorteil am Laufband ist, dass es stabil steht und er unbewusst deutlich spürt: "Ich schwanke, weil ich links nicht genug Kraft aufbringe!" und sich so selbst korrigieren kann. Aber ich greife vor: Er bewältigte den Schritt auf das Laufband sehr gut, war sofort mit den Händen an den Stützgriffen und wollte schon fast vor dem Start losgehen. Die Geschwindigkeit von 0,8 km/h konnte er bewältigen, auch wenn es eher an der Obergrenze seiner momentanen Leistungsfähigkeit liegt. Wir stützten nur zu Beginn rechts und links unter den Armen, ließen aber los, als er meinte, er schaffte es auch so. Zum Staunen blieb kaum Zeit. Nach etwa 30 Sekunden machten wir eine kurze Pause. Wieder aufrichten und dann wollte er direkt weitergehen. Also das Laufband neu starten und los gings erneut. Toni trug ein stolzes Grinsen im Gesicht. Diesmal hielt er eine Minute durch, lief danach von uns gestützt rückwärts wieder vom Band runter und setzte sich erschöpft in den Rollstuhl. Zuvor sagte er auf Nachfrage, er sei nicht aufgeregt, er würde sich darauf freuen.
Nun ist er eine Weile wieder daheim und hat sich ausgeruht. Gerade hörte ich: Mama: "Wo bist du gerade?" Toni: "In Balingen." Mama: "Und was machst du?" Toni: "Injoy - für die Bewegung!" Herzlichen Dank an das Studio, dass wir einfach kommen und es ausprobieren konnten. Wir waren alle völlig baff, dass er das so "easy" bewältigt hat und offenbar richtig Spaß daran hatte.
Langsam aber sicher kommen wir unserem Ziel näher! Es gibt Neuigkeiten:
Demnächst möchten wir einen Verein gründen, der nicht nur Wachkoma, Schädel-Hirn-Trauma-Betroffenen oder tracheotomierten Personen hilft, sondern auch anderweitig dauerhaft behandlungspflegebedürftige Personen und deren (pflegenden) Angehörigen sowie grundsätzlich allen Interessierten offen steht. Es soll eine Begegnungsstätte werden, in der Berührungsängte abgebaut werden können und viel erfahren werden kann - vor allem ein Ende des Isolation. Wer mehr darüber wissen, unterstützen oder mitmachen möchte, findet unter www.inotverein.weebly.com die vorläufige Internet-Seite. Ich kann in Gesprächen oft nicht direkt und konkret erklären, warum ein Pflegedienst keine Hilfe für uns darstellt. Vielleicht wird es durch das Nachfolgende klarer?
Natürlich wäre es möglich, mehr „Unterstützung“ zu holen. In vielen (Pflege-)Fällen ist es ja auch zweifellos kein Problem. Wer täglich dabei hilft, die Thrombose-Strümpfe anzuziehen oder einmal die Woche die Haare wäscht – ganz egal, solange einem nur jemand hilft. Das muss nicht der Partner oder ein Angehöriger sein. Sicherlich gibt es zwar helfende Personen, die man „lieber mag“ als andere. Es kann auch sein, dass eine Pflegeperson vielleicht hört: „Schwester Angelika macht das aber immer anders/besser!“ Bei einem Schädel-Hirn-Trauma/Wachkoma kann es anders sein. So wie beispielsweise bei Toni: Vorab ein Versuch: Stellt euch vor, ihr könnt NICHTS selbstständig tun. Nicht umdrehen im Bett, nicht kurz an der Nase kratzen und nicht die Zähne bürsten. Weder das Gesicht waschen noch sonst irgendetwas der Körperhygiene ist euch ohne Hilfe möglich! Vor allem: nicht sagen können, dass die Musik zu laut ist oder das Licht blendet schmerzhaft, weil nicht mal ein Kopfdrehen möglich ist. Nur Blinzeln geht - um eine Frage zu bejahen. Falls jemand eine Frage stellt! Wer mag kann es ja mal für eine Minute ausprobieren. In diesem Zustand befand sich Toni etwa 2-3 Jahre. Darauf angewiesen, dass irgendjemand (wir) in seiner minimalen Mimik und den Veränderungen seines Pulses „lesen“ und durch Abfragen herausfinden, wie ihm zu helfen wäre. Durch eine strenge tägliche Routine in der Körperpflege, einen immer gleichen Ablauf und sich täglich wiederholende Ansagen dabei, erhält der SHT-Betroffene Sicherheit. Toni weiß genau, wie die Reihenfolge ist und kann geistig dabei sein. Sei es nur dadurch, dass er vorbereitet ist und weiß „Jetzt werde ich gleich am linken Fuß berührt!“ und deshalb nicht zurückzuckt oder erschrickt. Im Laufe der Zeit wurde so möglich, dass er selbst aktiv mitmacht. Soweit die Muskeln eben in der Lage sind, die Arme und Beine zu bewegen beginnt und so eigentlich bereits bei der Morgenhygiene Koordination, Muskeln und das Hirn trainiert. Inzwischen kann er teilweise stehen - erleichtert das Anziehen ungemein! Wie sollte jetzt dieser routinierte Ablauf in der Körperpflege, der so viel Sicherheit bietet, bei wechselnden Pflegepersonen eingehalten werden können? Klar, es kommt vorrangig darauf an, dass er sauber wird. Das kann man ganz schnell (und übergriffig) erledigen. So dauert es keine halbe Stunde, sondern 10 Minuten. Seine verlangsamte Reaktionszeit wäre da eher hinderlich, also dürfte Toni nicht „mitarbeiten“. Er würde sich nicht mit einbezogen fühlen, nicht mitdenken und bräuchte sich auch keine Mühe mit der Kommunikation mehr zu geben. Wie ich das behaupten kann? Na, weil wir das genau so ja bereits erlebt haben! Letztlich führt das bei SHT-/Wachkoma-Patienten sozusagen zur Trennung von Körper und Persönlichkeit. Toni hatte gute Fortschritte gemacht, doch dann ging es mit der Pflege drunter und drüber, was dazu führte, dass er sich in sich selbst zurückzog und die Blinzel-Kommunikation einstellte. Im Bett lag dann nur noch eine leere Hülle. Das war sehr schwer mit anzusehen. Die ganze Entwicklung war zunichte gemacht. Diese Situation über Jahre hinweg auszuhalten - das wäre ein Zustand, bei dem ich verstehen kann, dass Angehörige froh sind, wenn jemand anders die tägliche Versorgung übernimmt und man selbst so wenig wie möglich mitansehen muss. Unsere Pflegekraft kommt einmal die Woche, hat den etablierten Ablauf detailliert übernommen und (wo es möglich war) ausgebaut. Beispielsweise beim Hinstehen die Schwierigkeit erhöht: Toni soll versuchen, einzeln die Knie anzuheben - und siehe da, er kann immer mehr! Dies, sowie unsere Erfahrungen der vergangenen Jahre sind der Grund, weshalb ein Pflegedienst für die Versorgung von Toni nicht wirklich hilft. Es ist sehr still geworden um uns.
Wir haben in den letzten Monaten immer weniger Außenkontakte gepflegt; genauer gesagt, bis auf Weiteres die Kontakte unterbunden/verhindert/ nicht erlaubt/…. Unsere restlichen, geringen Energiereserven brauchen wir dringend, um den langen und sehr schwierigen Weg bis zur Verwirklichung einer Pflege-Wohngemeinschaft durchzustehen! Dabei dachten wir vor 2 Jahren in erster Linie an eine WG für die betroffenen Menschen, von denen Angehörige bei den Selbsthilfetreffen berichteten. In den Pflegeheimen seien z. B. die Tochter, der Bruder, der Partner oder ein Elternteil mehr schlecht als recht untergebracht und ihrem Schicksal ausgeliefert, haben keinen Lebensmut mehr. Dadurch leidet auch die Lebensqualität der Angehörigen erheblich. Anfang dieses Jahres aber bin ich (allein in meiner Wohnung) ohnmächtig geworden und kam nach ?... einer geraumen Zeit erst wieder zu mir. Gruselig war das! Das hat definitiv nachgewirkt. Natürlich denkt man da weiter... Seither jedenfalls sehen Mama und ich unsere Zukunft gemeinsam unter einem Dach. Wir stellen uns ein Mehrfamilienhaus vor, in dem Toni im EG in der Pflege-Wohngemeinschaft lebt und Mama und ich in je einer kleinen Wohnung darüber. Nach einigen Höhen und bisher vielen Tiefen auf diesem WG-Planungs-Weg, den wir seit 2 Jahren gehen, sehen wir im Moment einen kleinen, hellen Lichtschein am Ende des Tunnels! Vielleicht ist dies jetzt Gottes Vorsehung, die wir endlich begriffen haben?! Schön wäre das, richtig schön! Angenommen es geht jetzt immer weiter Richtung Licht und Hoffnung durch den Tunnel hindurch; angenommen dieser stets konkreter werdende Plan und die Vorstellung einer (für uns drei und noch weitere ähnlich betroffene Personen) entlastendere Lebenssituation wird zur Realität - na, dann werden wir auch mal wieder in der Lage sein, die ruhenden Kontakte aufzunehmen und zu pflegen! BDD! (=Bitte Daumen drücken!) Das war das Motto eines Vortrags von Frau Gabriele Schneider, Seniorenbeauftragte aus Oberndorf über Alternative Wohnformen, den ich gestern bei der hiesigen AMSEL-Kontaktgruppe besucht habe.
Das Credo: Die Gesellschaft muss sich ändern; weg vom Individualismus beim Bauen/Wohnen; hin zum Leben in Gemeinschaft; jeder mit seinem Rückzugsort, aber mit direktem Zugang zu gemeinschaftlich genutzten Begegnungsräumen; wo fürsorglich aufeinander geachtet wird und sich im Rahmen der Möglichkeiten bei Bedarf gegenseitig geholfen werden kann; wo der Wert des Einzelnen sich nicht an der körperlichen Leistungsfähigkeit orientiert. Die Referentin stellte auch ein weiteres Wohnmodell vor; das „Wohnen in Gastfamilien“. Offenbar gibt es dies nicht nur für psychisch-kranke Personen, sondern auch für ältere Menschen und für Menschen mit Behinderung (z. B. Multiple Sklerose). Auf dem Weg zu Mamas Ziel (einer selbstverwalteten Pflege-WG) sind wir inzwischen an einem Punkt angelangt, an dem wir nicht mehr nur für Toni und andere SHT-Patienten im Wachkoma oder danach eine gute Unterbringung und Pflege suchen. Stattdessen könnten wir uns vorstellen, „unter dem selben Dach“, aber in Gemeinschaft mit einer selbstverwalteten Pflege-WG zu wohnen. Damit wären unsere Sorgen, was geschieht, wenn Mama die Pflege einmal nicht mehr in dem Maß leisten kann wie bisher, gelöst. In der Pflegewohngemeinschaft könnte Toni zusammen mit anderen Menschen verschiedener Krankheitsbilder (z. B. ALS, Parkinson, MS, Schlaganfall, …) mit hohem oder wachsendem Pflegebedarf leben, versorgt und gefördert werden. Der Gemeinschafts- und Begegnungsraum soll ein Ort werden, an dem die Angehörigen, aber auch Interessierte jederzeit willkommen sind, sich begegnen und einbringen können und aus der Isolation herauskommen ¦ eine gelebte Teilhabe. Vielleicht darf unser Ziel Wirklichkeit werden und wir finden Gleichgesinnte, die sich ebenfalls aktiv mit der eigenen, zukünftigen Wohnsituation beschäftigen und vorsorgen möchten. Ungewöhnliches Ergotherapie-Gerät Natürlich gibt es viele unterstützende ergotherapeutische Hilfsmittel mit denen Toni auch immer wieder übt. Aber seine Motivation ist beim Einsatz von Alltagsgegenständen am größten. Während einer Ergotherapie-Stunde fragte Mama den Therapeuten nach einem Gerät, bei welchem Toni seine linke spastische Hand besser trainieren kann. „Verschiedene Wasserhähne“, fiel unserem Ergotherapeuten spontan ein. Offensichtlich war Toni von dieser Idee begeistert. Denn er drängte darauf, zum Baumarkt zu fahren. Also verfrachtete Mama ihn kurzerhand ins Auto und fuhr mit ihm zum Baumarkt. Mit drei unterschiedlichen Wasserhähnen waren sie nach kurzer Zeit wieder daheim. Ein stabiler Styroporblock diente vorübergehend als Halterung für die Armaturen. Unser befreundeter Schreiner fand die Idee dieses Therapiegerätes sehr gut und fertigte aus hochwertigem Holz umgehend eine Befestigung für die Wasserhähne an. Glücklicherweise besaß er noch 2 defekte aber für diese Zwecke sehr gut geeignete, „therapeutische“ Exemplare um die Sammlung zu erweitern. Toni ist motiviert und kann daran nun beidhändig oder nur mit jeweils einer Hand die Hähne auf- bzw. zudrehen, die Siebchen ausschrauben und die Dichtungen auswechseln. Funktioniert prima!! :-) |
Kategorien
Alle
Archive
August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |