2016
Nachdem wir alle drei gerade mit den Auswirkungen einer Erkältung - in Toni's Fall einer Bronchitis - zu kämpfen haben, ist der allgemeine Zustand treffend mit kraft- und saftlos zu bezeichnen. Irgendwie reicht's. Sowohl meiner Mutter als auch mir. Deshalb kann ich auch nicht so tun, als wäre alles leicht und einfach. Klar, es könnte schlimmer sein und es gibt vieles, für das wir dankbar sind. Doch irgendwie muss auch mal raus, dass es wirklich anstrengend ist. Kräftezehrend und dass wir schwer damit klar kommen, zu akzeptieren, dass es nun - zumindest geistig - nur noch um "Standerhaltung" geht. Nichts was wir tun können, kann daran etwas ändern. Es wäre schön, wenn wir die Stecker neu verkabeln und ihn einfach rebooten könnten. Stattdessen müssen wir zusehen, wie er immer weiter versinkt. Ist das Demenz? Oder einfach nur die "normale" sprich zu erwartende Schädigung seiner geistigen Fähigkeiten aufgrund des Schädel-Hirn-Traumas? Wir sind jetzt schon geraume Zeit immer irgendwie in Alarm-Bereitschaft, da eine Veränderung im Verhalten oder der Persönlichkeit, die spontan auftritt, ja immer auch ein Hinweis auf eine Veränderung der (ich nenne es mal) Hirn-Situation sein könnte. Beispielsweise kann zu viel oder eben zu wenig Liquor abfließen, was sich dann durch eine Veränderung des Hirndrucks eben auch durch Schmerzen oder plötzliche Veränderungen seines Zustandes äußern könnte. Aber alles was wir beobachten, ist so minimal-dosiert, dass es möglicherweise wetterbedingt sein kann. Oder dass durch einen Harnwegsinfekt eine Verwirrung auftritt. Oder es ist eben einfach das schon geschädigte Gehirn, das jetzt vielleicht doch auch noch dement zu werden scheint. Toni hatte mehrere Tage Fieber und kaum eine hörbare Stimme. Die Erkältung legte sich bei ihm im und um den Kehlkopf nieder. Er halluzinierte wohl auch, denn er bat uns mitleiderregend krächzig, doch bitte die Musikanlage auszuschalten. Erst fragte er meine Mutter. Dann später mich direkt, fast flehentlich. Durch das Fieber hatte er wohl Ohrgeräusche oder Halluzinationen, jedenfalls war es ruhig. Nichts war an, kein Fernseher, kein Radio - nichts. Und er wollte so verzweifelt, dass wir endlich ausschalten, was er hörte. Was tun? Wie soll man da beruhigen? Ich finde es ja schon zu "gesunden", also an fieberfreien Tagen, schwierig, mit seinen Wünschen umzugehen. Oftmals ist entweder eine Melde- oder Alarmanlage zu reparieren, wofür er einen Schaltschlüssel oder sonst etwas braucht. Neulich zeigte er auf den Rauchmelder an der Decke und berichtete meiner Mutter, dass dieser sabotiert sei. Irgendwie ablenken. Aber auch das kostet Kraft. Die Situation, dass wirklich alle angeschlagen sind, hatten wir so noch nicht. Entweder war ich erkältet, oder ich und Toni. Meine Mutter hielt sich immer tapfer. Doch dieses Mal ist wohl einfach zu viel Unnötiges vorgefallen. Das hat nicht mal vorrangig was mit Toni und der Situation zu tun. Das Drumherum ist einfach zuviel gewesen. Nicht zuletzt der Auto-Auffahr-Unfall, den sie nicht verschuldet und glücklicherweise unverletzt überstanden hat. Aber deswegen mussten wir 3 Wochen lang auf das Auto verzichten und hatten keine Möglichkeit, mit Toni mal zum Einkaufen oder irgendwo sonst hin zu fahren. All das war einfach zu viel. Deshalb: uns reicht's jetzt. Das jetzt eher so eine Ansage ans Universum und/oder Gott: Entweder brauchen wir jetzt eine Super-Power-Batterie-Blitz-Aufladung oder eben einfach ausreichend Zeit, um von allein wieder aufzutanken, bevor wir bereit sind, für den nächsten Schlag. Wir haben vor, das Jahr jetzt so gut wie möglich zu Ende zu bringen und nur das Nötigste noch zusätzlich zum Alltag anzugehen. Ich hoffe, dass sich Mama trotz des Schlafmangels aufgrund der Pflege und der durchhusteten Toni-Nächte mit unterirdischer Sauerstoffsättigung, bald ganz erholen kann. Deshalb und einfach weil es reicht: Alles was nicht irgendwie existentiell ist, wird warten müssen. Besuche oder längere Telefonate zählen da ebenso dazu, wie der alljährliche Weihnachtstrubel. Den haben wir auch in diesem Jahr abbestellt, weil es für uns anders gar nicht geht. Ich bitte um Verständnis. Wir sind nicht zum Grinch und Co. geworden und wünschen natürlich allen eine schöne Vor- und Weihnachtszeit. Aber wir müssen einfach schauen, woher wir wieder Saft bekommen - Lebenskraft, Zuversicht, so was halt. |
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |