<2016>
Die Hoffnung, dass durch den Hund noch etwas mehr oder länger Aufmerksamkeit und Wachheit bei Toni gefördert wird, hat sich bisher nicht erfüllt. Neulich habe ich etwas über die Empathie-Fähigkeit gelesen und dass dafür die Hirnrinde „zuständig“ ist. Deshalb wundere ich mich nun nicht mehr darüber, dass wir das an Toni seit dem Unfall vermissen. Schließlich war die Hirnrinde bei Toni zeitweilig ganz aus der Form geraten. Statt der üblichen vielen Kurven und Kehren war es bei ihm – wie mir Mama 2013 nach einem der bildgebenden Untersuchungsverfahren berichtete – einfach nur eine Linie. Das hat sich wohl auch wieder verändert, kann aber sicher nicht so wie vor dem Unfall sein. Eine nachvollziehbare Erklärung für unsere Beobachtungen. Folglich „kümmert“ ihn vieles nicht so direkt. Zwar nicht immer, aber doch meistens ist da wenig Interesse für andere vorhanden. Oder es ist einfach nicht genug Kapazität oder Konzentration übrig für mehr als die eigenen Befindlichkeiten körperlicher oder geistiger Natur. Immer mal wieder ist er mit den Gedanken und seinem ganzen Wesen „bei der Arbeit“. Da braucht er Werkzeug oder Bauteile, Schaltpläne oder Leitern, Stecker, Schalter oder den Garagenschlüssel – was auch immer… Und ein Hund taucht bei seinen geistigen Arbeitseinsätzen nie auf. Aber er weiß, dass der Kleine da ist. Umgekehrt scheute der Hund nie vor dem Rollstuhl zurück. Auch bei Spaziergängen läuft er gern auch direkt beim Rad. Manchmal legt er sich einfach neben dem Rollstuhl hin. Irgendwie hat er wohl schnell begriffen, dass Toni niemals lange alleingelassen wird. Insofern ist es für ihn nicht schlecht, sich da in der Nähe aufzuhalten. Nur wie gesagt, viel Interaktion zwischen den beiden gibt es bislang nicht. Vor Kurzem allerdings hat er gebellt, als Toni im Begriff war, etwas Untypisches zu tun. Ich glaube er wollte erneut den Rollstuhltisch abbauen. Das war sehr hilfreich und ein gutes Gefühl. Das Bellen ist nämlich lauter und kommt VOR dem Scheppern, Poltern oder Knallen. So haben wir also Zeit zu rennen, um das Schlimmste zu verhindern. Da ist uns noch der Schock von seinem Auf-Steh-Versuch noch viel zu deutlich in Erinnerung. Nochmals so eine Aktion, wo wir ihn vom Boden aufklauben, ins Krankenhaus fahren und dann stundenlang versuchen die Blutung der Nase zu stillen? Nein, danke! Bitte nicht! So ist „das Hundle“ also für uns ein Auf-Toni-Achten-Helfer, mit seiner freudigen Energie ein Stimmungs-Aufheller und im Notfall ein Achtung-da-ist-was-Beller! Gerade eben allerdings hat Toni den (frischgewaschenen) Hund auf dem Schoß gehabt und mit beiden Händen gestreichelt und dabei geschmunzelt. :-) Vielleicht kommt da mit der Zeit noch mehr... Neulich habe ich geträumt.
Aus einem schmalen roten Büchlein wurde beim Aufschlagen ein Fotoalbum. Darin lauter Bilder von Familienfeiern im früheren Zuhause. Die Zimmer sahen zwar ganz anders aus, aber es war trotzdem das Zuhause. Auch die Feste selbst haben so nicht stattgefunden. Mich überkommt noch immer Gänsehaut und auch eine Art Traurigkeit, weil es nicht möglich war, wirklich mitzufeiern. Ich hab das Bild betrachtet Die Küche eine Mischung aus dem Raum des früheren Zuhauses und der Stube meiner Großeltern mütterlicherseits. Ein Christbaum in der Ecke, eine lange Tafel gedeckt und daran Menschen, so viele. Zuerst fiel mir mein Opa an der Stirnseite ins Auge, direkt neben ihm Toni. Beide überaus ausgelassen und fröhlich, auch das eher ungewöhnlich. Mich selbst sah ich auch als kleines Mädchen mit einem anderen Kind plaudern. und bevor ich noch etwas oder jemand anderes wahrnehmen konnte, war es schon vorbei. Etwas verwirrt dachte ich darüber nach, ob es das Fest denn gegeben haben kann. Ich kann mich noch gut an den Weihnachtsbaum meiner Großeltern erinnern. Da sind wir früher als Kinder an einem der Weihnachtsfeiertage zusammengekommen mit der Familie. Ich kann mich an die Anis-Plätzchen von Oma erinnern und dass es im „Spielzimmer“ nebenan immer sehr kalt war. Aber haben wir da mal gegessen? Gab es da was anderes als Kaffee? War es dunkel und wann sind wir dann nach Hause gefahren? Wie Opa oder Oma das Feuer schüren seh` ich noch vor mir. Genauso wie die weißen Tassen mit den grünen Punkten. Meine Mutter hatte früher an Weihnachten immer eine Krippe mit faszinierend detailreich geschnitzten Holzfiguren im Esszimmer aufgebaut. Den Raum mochte ich im Winter sehr. Offen zur Küche, mit Teppichboden und der eigentlich viel zu dunklen und rustikalen Holzvertäfelung wirkte er sehr warm auf mich. Da saßen Mama und ich am Abend des 24. Dezember 2012 bei Kerzenschein. Ohne Krippe. Die Füße hochgelegt. Haben wir was gegessen? Nebensächlich. Wir waren bei Toni in der Klinik gewesen (oder sind am nächsten Tag gemeinsam mit dem Auto hingefahren) oder beides … Ich könnte es nachlesen, aber ich möchte mich im Moment lieber nur so ein klein wenig daran erinnern. Ziemlich sicher waren die Laptops an und wir spielten jede für sich Solitär oder so. Zumindest erinnere ich mich so. Rätselhefte haben wir auch gehabt. Das war unglaublich wichtig. Sudokus, Rätsel, einfache PC-Kartenspiele – das Gehirn beschäftigen, etwas tun, sich ganz auf eine kleine Aufgabe konzentrieren. Den Sorgen und Gedanken nicht zu viel Raum geben. Und wie wird es dieses Jahr? |
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |