Ich kann in Gesprächen oft nicht direkt und konkret erklären, warum ein Pflegedienst keine Hilfe für uns darstellt. Vielleicht wird es durch das Nachfolgende klarer?
Natürlich wäre es möglich, mehr „Unterstützung“ zu holen. In vielen (Pflege-)Fällen ist es ja auch zweifellos kein Problem. Wer täglich dabei hilft, die Thrombose-Strümpfe anzuziehen oder einmal die Woche die Haare wäscht – ganz egal, solange einem nur jemand hilft. Das muss nicht der Partner oder ein Angehöriger sein. Sicherlich gibt es zwar helfende Personen, die man „lieber mag“ als andere. Es kann auch sein, dass eine Pflegeperson vielleicht hört: „Schwester Angelika macht das aber immer anders/besser!“ Bei einem Schädel-Hirn-Trauma/Wachkoma kann es anders sein. So wie beispielsweise bei Toni: Vorab ein Versuch: Stellt euch vor, ihr könnt NICHTS selbstständig tun. Nicht umdrehen im Bett, nicht kurz an der Nase kratzen und nicht die Zähne bürsten. Weder das Gesicht waschen noch sonst irgendetwas der Körperhygiene ist euch ohne Hilfe möglich! Vor allem: nicht sagen können, dass die Musik zu laut ist oder das Licht blendet schmerzhaft, weil nicht mal ein Kopfdrehen möglich ist. Nur Blinzeln geht - um eine Frage zu bejahen. Falls jemand eine Frage stellt! Wer mag kann es ja mal für eine Minute ausprobieren. In diesem Zustand befand sich Toni etwa 2-3 Jahre. Darauf angewiesen, dass irgendjemand (wir) in seiner minimalen Mimik und den Veränderungen seines Pulses „lesen“ und durch Abfragen herausfinden, wie ihm zu helfen wäre. Durch eine strenge tägliche Routine in der Körperpflege, einen immer gleichen Ablauf und sich täglich wiederholende Ansagen dabei, erhält der SHT-Betroffene Sicherheit. Toni weiß genau, wie die Reihenfolge ist und kann geistig dabei sein. Sei es nur dadurch, dass er vorbereitet ist und weiß „Jetzt werde ich gleich am linken Fuß berührt!“ und deshalb nicht zurückzuckt oder erschrickt. Im Laufe der Zeit wurde so möglich, dass er selbst aktiv mitmacht. Soweit die Muskeln eben in der Lage sind, die Arme und Beine zu bewegen beginnt und so eigentlich bereits bei der Morgenhygiene Koordination, Muskeln und das Hirn trainiert. Inzwischen kann er teilweise stehen - erleichtert das Anziehen ungemein! Wie sollte jetzt dieser routinierte Ablauf in der Körperpflege, der so viel Sicherheit bietet, bei wechselnden Pflegepersonen eingehalten werden können? Klar, es kommt vorrangig darauf an, dass er sauber wird. Das kann man ganz schnell (und übergriffig) erledigen. So dauert es keine halbe Stunde, sondern 10 Minuten. Seine verlangsamte Reaktionszeit wäre da eher hinderlich, also dürfte Toni nicht „mitarbeiten“. Er würde sich nicht mit einbezogen fühlen, nicht mitdenken und bräuchte sich auch keine Mühe mit der Kommunikation mehr zu geben. Wie ich das behaupten kann? Na, weil wir das genau so ja bereits erlebt haben! Letztlich führt das bei SHT-/Wachkoma-Patienten sozusagen zur Trennung von Körper und Persönlichkeit. Toni hatte gute Fortschritte gemacht, doch dann ging es mit der Pflege drunter und drüber, was dazu führte, dass er sich in sich selbst zurückzog und die Blinzel-Kommunikation einstellte. Im Bett lag dann nur noch eine leere Hülle. Das war sehr schwer mit anzusehen. Die ganze Entwicklung war zunichte gemacht. Diese Situation über Jahre hinweg auszuhalten - das wäre ein Zustand, bei dem ich verstehen kann, dass Angehörige froh sind, wenn jemand anders die tägliche Versorgung übernimmt und man selbst so wenig wie möglich mitansehen muss. Unsere Pflegekraft kommt einmal die Woche, hat den etablierten Ablauf detailliert übernommen und (wo es möglich war) ausgebaut. Beispielsweise beim Hinstehen die Schwierigkeit erhöht: Toni soll versuchen, einzeln die Knie anzuheben - und siehe da, er kann immer mehr! Dies, sowie unsere Erfahrungen der vergangenen Jahre sind der Grund, weshalb ein Pflegedienst für die Versorgung von Toni nicht wirklich hilft.
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |