2013<<
Während der langen Phase, in der Toni in verschiedenen Einrichtungen untergebracht ist, bis wir ihn eines Tages nach Hause holen können, beobachte ich viele Pflegekräfte bei ihrer Arbeit mit ihm. So kann ich mir ausmalen, was auf uns zukommen wird und wie man das überhaupt macht. Anfangs finde ich allein den Gedanken an ein Tracheostoma extrem erschreckend und kann beim Absaugen kaum hinsehen. Irgendwann realisiere ich, wie wichtig das ist, weil er besser und leichter atmen kann, wenn störendes Sekret entfernt wird. In der Rehaklinik lernt Mama viel über die Pflege und was dabei zu beachten ist. Darunter auch den richtigen Umgang mit dem Absauggerät. Es ist April 2013, ihr sehnlichster Wunsch ist, Toni möge von der Trachealkanüle entwöhnt werden, damit sie ihn nach Hause nehmen kann. Leider erfüllt sich der Wunsch nicht so schnell wie erhofft und wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, ihn mitsamt dem Tracheostoma und Kanüle daheim zu pflegen. Also konzentriert Mama sich darauf, was ihr erklärt und gezeigt worden war und spricht dabei laut aus, welche Handlungen sie nach und nach ausführt. So ist Toni stets informiert, sie fühlt sich sicher und auch ich lerne so nebenbei, das Hinschauen aushalten zu können und Neugier zu entwickeln. Allerdings beobachte ich im Lauf der Monate bei den unterschiedlichen Pflegekräften zum Teil große Abweichung von dem Ablauf, der Mama gezeigt worden war. Das verunsichert mich. Wieso halten sich nicht alle daran? Mich stört extrem, dass es offenbar keine Richtlinien für den korrekten Umgang gibt und dass so viel Halbwissen dabei einfach in Kauf genommen wird. Man kann da durchaus viel falsch machen. Wieso gibt es keine verpflichtende Teilnahme an einem jährlichen Workshop oder Kurs, in dem Intensiv-Pflegekräfte sich über Trachealkanülen-Management weiterbilden können? Stattdessen bin ich als Angehörige in einer blöden Situation. Entweder führe ich mit jeder Pflegekraft eine Diskussion über das Absaugen, weil mir das Wohl meines Vaters wichtig ist. Schließlich kenne ich die Bandbreite seiner Reaktion beim Absaugen schon seit Monaten. Oder ich ignoriere alles, was ich gelernt und beobachtet habe und glaube Pflegekraft X, die mir sagt, es sei normal. Selbst wenn sie/er diesen Patienten erst seit wenigen Stunden kennt. Blöd ist die Situation deswegen, weil wir ja auf Hilfe angewiesen sind. Allein ist das kaum zu schaffen. Aber – und das frage ich mit Nachdruck – muss man dafür in Kauf nehmen, dass der Intensivpatient unter der Pflege leidet? Er kann sich nicht mitteilen, kann nicht „Au, lassen Sie das bitte!“ rufen. Wenn wir auch sonst nicht viel wissen: nach 13 Monaten in unterschiedlichen Kliniken oder Einrichtungen und den vielen Lebensjahren davor, sehen oder spüren wir sehr deutlich, ob er entspannt ist oder leidet! Manchmal wünschte ich mir, etwas mehr Ohr für die Angehörigen von Wachkomapatienten. Wir sind keine Experten für Intensivpflege. Aber wir sind Experten für diesen einen, speziellen Patienten! Kommentare sind geschlossen.
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |