<2015>
Der Tag von Mama & Toni beginnt ruhig und es kann auf ihn eingegangen werden, sofern nicht gleich früh am Vormittag eine Therapiestunde angesetzt ist. So kann er entscheiden, wann er aufstehen möchte. Pflege am Morgen Zweimal in der Woche ist Dusch-Tag. An den anderen fünf Tagen ist die Morgenhygiene zweigeteilt: Im Bett wird seine untere Körperhälfte gewaschen und angezogen. Dabei kann er aktiv mitmachen. Noch im Bett wird die PEG gepflegt und das Pflaster zur Befestigung frisch geklebt. Anschließend folgt der Transfer in den Rollstuhl. Dazu rollt er sich auf eine Seite, das Liftertuch wird unter ihn gelegt, er rollt auf die andere Seite und wenn es richtig ausgebreitet ist, wieder auf den Rücken. Mit dem Deckenlifter, dessen Tasten (auf/ab) er selbst bedient, setzt ihn Mama in den Rollstuhl und fährt Toni im Bad ans Waschbecken. Dort wird das Schlafshirt ausgezogen und Toni wäscht sich seine Hände über dem Wasch-becken. Weil er nicht entspannt nach vorn gelehnt unter den Wasserhahn kommt, haben wir eine Handbrause installiert. So kann er die Seife unangestrengt abspülen. Das Händewaschen macht er genauso ausführlich wie vor dem Unfall und dabei ist auch die linke, noch etwas bewegungsgehemmte Hand aktiv. Nach dem gewissenhaften Abtrocknen jeder Hand und zwischen allen Fingern geht es weiter: Mit einem Waschlappen wäscht er sich das Gesicht. Von ganz links bis ganz rechts, von oben bis unten. Das dauert zwar eine Weile, aber er scheint es richtig zu genießen, sich selbst so waschen zu können. Zweieinhalb Jahre lang fuhr täglich jemand mit einem Waschlappen durch sein Gesicht. Das hat er sich vor ein paar Monaten wieder zurückerobert! Er wäscht sich unter den Armen und trocknet sich ab. Dann reicht ihm Mama den Deostick, den er in eine Hand nimmt und den Deckel mit der anderen aufschraubt. Er deodoriert sich selbst, wechselt die Hände (meist muss man der linken Hand bei der Achsel rechts etwas helfen, damit auch überall was hinkommt) und schraubt den Deckel wieder drauf. Die Haare bürstet Toni sich ebenfalls selbst und seelenruhig. Sobald er damit fertig ist, kümmert sich Mama um die Tracheostoma Pflege. Auswechseln der Schlitzkompressen und dazwischen die Haut um den Patzhalter herum mit Stomaöl pflegen. Es folgt das Anziehen von Unterhemd und Oberteil und er kann ins Wohnzimmer gefahren werden. Vom Beginn der aktivierenden Pflege im Bett bis jetzt sind dann etwa 45 – 60 Minuten vergangen. Frühstück Dort am Esstisch sitzt er so zwischen halb zehn und elf (je nach Therapie) und isst sein Frühstück. Manchmal fragt er „Wo bleibt mein Kaba?“ oder er möchte Kaffee – total untypisch für ihn. Vor dem Unfall mochte er nie Kaffee. Getränke werden angedickt, mit dem Teelöffel gereicht oder er trinkt mit einem Trinkhalm. Mal mehr, mal weniger. Er stellt das Geschirr weg, wenn er nicht mehr essen möchte. Dabei hustet er manchmal und soll danach sprechen, damit die Stimmlippen wieder frei sind. Gestaltung des Tages / Aktivitäten Oft folgt nach dem Frühstück eine Ruhephase vor der nächsten Therapie oder Aktiv-Phase. Wird er wieder wach, bieten wir ihm Verschiedenes an und er wählt je nach Lust und Laune davon etwas aus. Mögliche Aktivitäten sind Spaziergänge in die Stadt mit dem E-Rolli oder zum Einkaufen in den Supermarkt. Zu Hause blättert er Kataloge und Prospekte durch, liest Zeitung oder eingetroffene Post. Wir machen Spiele mit ihm
Außerdem trainieren wir mehrmals täglich sein Gedächtnis – stellen Kopfrechenaufgaben oder versuchen das Alphabet mit Tieren, Städten, Ländern, Namen oder Nahrungsmitteln gemeinsam mit ihm aufzusagen. Aus den ihm angebotenen Aktivitäten wählt er frei. Manchmal wird durch eine Äußerung (z.B.: „Ich brauche meinen Führerschein“) von ihm deutlich, dass er nicht ganz in unserer Gegenwart ist. Geduldig führt Mama ihn dann durch seine Vergangenheit, er beantwortet Fragen zu seinem Alter, der Arbeitsstelle, dem Wohnort. Sie erklärt ihm dann, dass er einen Unfall hatte und derzeit im Rollstuhl sitzt, wir ein neues Auto haben und in einem anderen Ort wohnen, weil eine barrierefreie Wohnung unerlässlich ist. Welche Verletzungen er hat, kann er sagen und auch, warum es dazu kam. Auf die Frage, ob das Leben so – ohne Arbeit und mit Pflege zu Hause – schlimm für ihn ist, antwortet er kopfschüttelnd mit „Nein“. Wenn er eine gute Nacht hatte, ist er in seinen Aktiv-Phasen durchaus sehr ausdauernd. Meist folgt danach eine „verarbeitende Ruhepause“, wenn er mag auch im Wohnzimmer in der Lagerungsinsel liegend. Wir bieten auch immer wieder an, Physio-Übungen zu machen oder aufzustehen. Von uns beiden gestützt oder am Geh-Wagen durch den Flur bis in die Küche zu gehen. Einzig beim Gehen ist er ungeduldig und unzufrieden über die noch geringe Muskelkraft in den Beinen. Deshalb wird er einmal am Tag zum Fahrradfahren ans „Motomed“ gesetzt. Da kann er selbst treten, inzwischen auch schon mit höherer Belastungsstufe, um die Beinmuskulatur zu stärken. Danach kommen die Arme dran. Den linken Arm kann er nicht ganz strecken und hält ihn meist sehr nah und stark angewinkelt am Körper. Beim Kurbeln kann er sich auch mit dem linken Arm auf die Bewegung einlassen und meist auch den Kopf schön aufrecht halten. Erneut folgt dann eine kurze Ruhephase. Insbesondere beim Gehen oder Stehen ist Toni seine Zufriedenheit über das erreichte Ziel anzusehen. Tonis eigen-motivierte Aktiv-Phasen Inzwischen kann er selbst sagen, was er tun möchte. Manchmal fragt er nach einem Stift und Papier und versucht lesbar zu schreiben. Oder er fragt nach einem Schraubenzieher und dreht dann ca. 30 Minuten lang Schrauben irgendwo raus/rein. Er holt sich auch immer mal wieder ein Fotoalbum und blättert durch die Vergangenheit. Dabei spricht Mama mit ihm darüber. Sie fragt immer wieder nach, wer zu sehen ist oder was für eine Begebenheit das war. Er erinnert sich meist daran oder hört aufmerksam zu, wenn sie davon erzählt. Manchmal bewegt er auch seinen Rollstuhl unaufgefordert selbst durch den Raum, um das Radio einzuschalten. Einmal am Tag (mindestens) legt er die Kissen unter seinen Armen beiseite und zieht die Decke von seinen Beinen weg. Das Rascheln der Kissen hören wir immer – nicht selten gerade dann, wenn man selbst sich eben erst für einen Moment hingelegt hat ;-)! Auf die Frage „Was möchtest Du?“ kommt prompt „Ich geh jetzt aufs Klo!“. Ihn umzusetzen vom Rollstuhl auf das WC ist aufwändig und anstrengend. Vor allem, wenn es dann (wie derzeit noch) einfach nicht mit dem gewünschten Ergebnis endet. Aber wir fahren ihn hin, er hebt das Bein mit dem Beutel hoch und wir leeren direkt diesen in die Toilette. Mit der Fernbedienung für dieses Spezial-WC kann Toni dann selbst spülen. Ein Kompromiss – solange bis die Rumpfstabilität besser und die Fähigkeit zu spüren und noch zu halten, bzw. im richtigen Moment zu lassen - mehr trainiert werden konnte. Kommentare sind geschlossen.
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August 2020
AutorIn den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Unfall fast immer mit dabei |